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Ex-Bundesverfassungsrichter zur Atompolitik"Offensichtlich keine Rechtsgrundlage"

Hans-Jürgen Papier, Ex-Präsident des Bundesverfassungsgerichts, hält ein Moratorium für Alt-AKWs nicht für juristisch wasserdicht – und Schadensersatzansprüche an die AKW-Betreiber für möglich.

Moratoriumsobjekt in idyllischer Lage: das AKW Philippsburg. Bild: dapd
Christian Rath
Interview von Christian Rath

taz: Herr Papier, die AKW-Betreiber bereiten Klagen gegen die vorübergehende Stilllegung der Altmeiler vor. Wie aussichtsreich sind solche Klagen?

Hans-Jürgen Papier: Ich sehe gute Erfolgsaussichten. Die Bundesregierung und die konkret handelnden Landesregierungen haben offensichtlich keine Rechtsgrundlage für das Moratorium. Statt eine Rechtsgrundlage zu schaffen - was möglich und naheliegend wäre -, nehmen sie sehenden Auges eine gerichtliche Niederlage in Kauf.

Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) beruft sich auf Paragraf 19 des Atomgesetzes, der Maßnahmen der Atomaufsicht beschreibt.

Wenn eine Stilllegung auf diesen Paragrafen gestützt wird, müsste ein rechtswidriger Zustand oder eine akute Gefährdung vorliegen. Beides hat die Regierung bisher nicht einmal behauptet.

Röttgen beruft sich auf einen "Gefahrenverdacht". Genügt das nicht?

Darüber könnte man diskutieren, aber es liegt ja auch kein Gefahrenverdacht vor. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass deutsche AKWs im Moment eine konkrete Gefahr darstellen.

In Japan hat sich wider alle Annahmen das sogenannte Restrisiko verwirklicht. Muss da nicht neu nachgedacht werden?

Über die Sicherheitsanforderungen muss nach dieser Katastrophe unbedingt nachgedacht werden. Das Bundesverfassungsgericht hat 1978 in seinem Kalkar-Urteil ja entschieden, dass die Gesellschaft als Restrisiko nur solche Risiken der Atomenergie hinzunehmen hat, die zwar theoretisch denkbar, aber nach den Maßstäben praktischer Vernunft doch ausgeschlossen sind. Diese Vorgabe macht auch heute noch Sinn, allerdings dürften sich nach Fukushima die Maßstäbe der praktischen Vernunft verschoben haben. Was früher als undenkbar galt, ist es heute vielleicht nicht mehr.

Bild: ap
Im Interview: HANS-JÜRGEN PAPIER

HANS-JÜRGEN PAPIER , 67 Jahre alt, war von Februar 1998 Richter und ab 2002 bis 2010 Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Jetzt lehrt er wieder Öffentliches Recht an der Universität München. Hans-Jürgen Papier ist Mitglied der CSU.

Rechtfertigt das keine vorübergehende Stilllegung von AKWs?

Wenn am Ende einer Neubewertung von Risiken herauskommt, dass wir bisher zu wenig Risikovorsorge betrieben haben, dann kann eine Nachrüstung der Atomkraftwerke gefordert werden, eventuell sogar ein Widerruf der Genehmigungen erfolgen. Wir sind aber erst am Beginn der Neubewertung. Um auch während einer solchen Neuorientierung AKWs vorübergehend stilllegen zu können, müsste der Gesetzgeber eine neue Rechtsgrundlage ins Atomgesetz einführen. Ich wundere mich, warum die Bundesregierung diesen rechtsstaatlich gebotenen Weg nicht geht.

Ist es nicht Aufgabe der Bundesregierung, sofort Handlungsfähigkeit zu demonstrieren?

Doch, aber das rechtfertigt natürlich keine illegalen Maßnahmen. Die Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Änderung des Atomgesetzes hätte auch Handlungsfähigkeit demonstriert.

Muss der Staat den AKW-Betreibern nun Schadensersatz zahlen?

Zunächst müssen die Betreiber gegen die Stilllegungsverfügung klagen. Sie können nicht einfach drei Monate abwarten und am Ende ausrechnen, wie hoch ihr Verlust gewesen ist. Aber für die Zeit bis zu einer eventuellen Aufhebung der Stilllegungsverfügung könnten Ansprüche auf Schadensersatz bestehen.

Hat die Regierung vielleicht zu sehr erwartet, dass sich die Betreiber kooperativ zeigen und auf Klagen verzichten?

Möglicherweise. Es ist aber keine gute Strategie, rechtswidrig zu handeln und dann zu hoffen, dass die Betroffenen stillhalten. Insofern muss man den AKW-Betreibern sogar dankbar sein, wenn sie klagen. Das erhöht mittelfristig den Handlungsspielraum der Politik, weil sie gezwungen wird, ihre Ziele mit rechtmäßigen Mitteln zu verfolgen - was ja durchaus möglich ist.

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14 Kommentare

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  • W
    Wolf

    Ich sehe lieber einen Atomausstieg mit Gesetzesverstoß und widerrechtliche Entschädigungsablehnung als einen rechlich einwandfreinen Kernunfall!

  • N
    NJT

    Mit welchem Recht betreibt der Mensch Raubbau und Ausbeutung seiner eigenen Lebensgrundlage? Schneller als gedacht kommen wir der Grenze näher, dass tatsächlich 'der letzte Baum gefällt'. Es steht nicht nur Technikgläubigkeit zur Debatte, sondern die gesamte westliche Gesellschaftsordnung, die zur Sicherung des Wohlstands offenbar ein Recht auf Zerstörung beansprucht. Nur ein Ende der Desinformationskultur, die Lebensfeindlichkeit und 'nach mir Sintflut' als rechtmäßig definiert, kann Hoffnung und damit Vertrauen in eine Zukunft geben. Ich hoffe, dass ein längerfristig bewohnbarer Planet mehrheitsfähig wird - momentan liegt die Priorität noch auf Bewahrung des durch Zerstörung erworbenen Reichtums. Nur Vernunft kann Überleben sichern, die Menschheit steht vor dem alternativlosen Beweis, sich tatsächlich vom Tier zu unterscheiden.

  • L
    laasn

    Hat die Bundesregierung den Konzernen vielleicht Gewinne versprochen, die jetzt in Gefahr sind, die aber durch eine erfolgreiche Schadenersatzklage doch gedeckt wären? Grundsätzlich wäre es ja egal ob die Konzerne ihre Gewinne auf die eine oder die andere Weise einfahren. Letztendlich zahlt ja eh immer der "Steuerzahler".

    Wenn es die Möglichkeit gäbe, würde ich zum Bundesweiten Streik der Steuerzahler aufrufen und die Bundesregierung rausschmeißen! Ohne Pensionsanspruch!!!

  • F
    FAXENDICKE

    Na und, kommen eben Klagen und Regresszahlungen in Milliardenhöhe hinterher, zahlt doch eh das Wahlvieh als Steuerzahler.

  • C
    Califax

    Zitat aus der Überschrift: "... und Schadensersatzansprüche an die AKW-Betreiber für möglich."

     

    Hier muß es wohl heißen : ... und Schadensersatzansprüche der AKW-Betreiber für möglich.

     

    Bitte lest doch die Beiträge vor der Veröffentlichung noch einmal durch.

  • K
    Kid

    Ob ein AKW legal oder illegal explodiert, also mit oder ohne rechtsstaatliche Deckung, ist mir dabei eigentlich völlig egal. Daß die AKWs keine Haftpflichtversicherung in realistsisch erforderlicher Höhe abschließen müssen kann meiner Meinung nach auch nicht rechtens sein, jeder Mensch, der ein Auto fährt muss eine Haftpflichtversicherung haben, sei das Auto und die Kilometerleistung per anno auch noch so klein. Und so langsam kommt es mir so vor, daß der Mensch nicht nur durch seine Technik, seine AKWs sich selbst und seine Lebensgrundlagen bedroht, sondern daß er sich selber auch durch ein Rechtssystem, was solch komische Situationen ermöglicht soweit ins Abseits bugsiert hat, daß er in einem Netz gefangen scheint. Sind die AKW Betreiber denn keine Menschen ? Und ist es nicht das ausschließlich betriebswirtschaftliche Denken was man zuerst abschalten müsste ? Ich habe nur noch wenig Hoffnung, daß der Mensch wirklich einmal etwas grundlegendes lernt, wäre schön wenn. Und wenn man schon betriebswirtschaftlich denkt, sollte man das auch bis zum Ende durchdenken.

    Ein Super GAU war trotz Tchernobyl bisher immer etwas was man aus dem Kino kannte, und fast wirkt das was momentan passiert auch schon so, Menschen - wacht endlich auf aus dem Tiefschlaf !!!

  • JA
    Jonas Amazonas

    Beim erstmaligen Auftauchen des "Moratoriums" in der Regierungspolitik habe ich hier meiner Verwunderung Ausdruck gegeben, was das denn sein solle in Anbetracht der Laufzeitverlängerung, die doch geltendes Gesetz ist. Jetzt zeigt sich, dass es einfach schlechte Politik war: ein widerrechtlicher und obendrein erfolgloser Wahlkampftrick, dessen Kosten (für zu leistenden Schadensersatz) der Steuerzahler trägt. Schwarz-gelb baut laufend Millionen- und Milliarden-Luftschlösser (siehe auch: EnBW, S 21), die Vertragsstrafen und Wertverluste produzieren, aber keine saubere Energie oder funktionierenden Zugverkehr. Wir zahlen inzwischen nur noch, um uns von den unerwünschten Folgen dieser Politik freizukaufen! Was man nicht im Kopf hat, muss man im Geldbeutel haben.

  • ML
    Männlicher Leser

    "Hans-Jürgen Papier, Ex-Präsident des Bundesverfassungsgerichts, hält ein Moratorium für Alt-AKWs nicht für juristisch wasserdicht – und Schadensersatzansprüche AN die AKW-Betreiber für möglich."

     

    AN oder DURCH, wie verstehe ich das jetzt richtig?

  • B
    Björn

    Da kommt doch der Verdacht auf, dass es beabsichtigt ist das Ganze ohne Rechtsgrundlage zu machen, um den lieben lieben Konzernen noch ein paar Millionen in die Hand zu drücken ... Ich frag mich ja wie hoch Frau Merkels Anteil an den Gewinnen der Laufzeitverlängerung ist.

  • HH
    Heribert Hansen

    Es müssen noch mehr Leute auf die Straße gehen. Die Atomindustrie ist ein Haufen Leute, die noch gefährlicher sind als jeder Altreaktor.

  • L
    likewise

    Hey, das war eine Güterabwägung:

    Wahldebakel versus Verfassungsbruch -- da wird sogar (oder gerade) eine konservative Regierung schwach! Und was jucken schon die paar zig Millionen Schadensersatzforderungen von der Atomindustrie? Bis die fällig werden, sind Merkel & Co. doch längst nicht mehr an der Macht.

  • E
    elka

    kollege papier hat recht! aber dennoch vertrete ich die auffassung, dass die geänderte gefahrenlage grund genug ist, um §19 atg zu bedienen. ein gesetz wäre dennoch die sauberere lösung gewesen! wenn die atomnovelle nicht das bverfg passiert, dann sind zumindest ein paar alte anlagen aus. ... immer schön entspannt bleiben!

  • R
    Reaktivist

    Mal wieder ein klassischer Fall, in dem sich die Politik von den Konzernen über den Tisch hat ziehen lassen. Bestimmt haben Großmann & Co. vor der Aktion Merkel telefonisch zugestimmt, dass sie wegen der Wahlen ihre Anlagen runterfahren, zumal ein schwarzgelber Wahlausgang ja auch in ihrem Sinne wäre. Und Merkel war so naiv zu glauben, dass die Konzerne die dabei entgangenen Gewinne quasi als Wahlgeschenk unter den Tisch fallen lassen - obwohl sie dann wahrscheinlich gegen das Aktiengesetz verstoßen würden.

    Es wird langsam Zeit für ein Gesetz, das jegliche nicht parlamentarisch legitimierten Aktionen von Politikern grundsätzlich für ungültig erklärt - siehe Berliner Wassertisch.

  • K
    Knünz

    "Hans-Jürgen Papier, Ex-Präsident des Bundesverfassungsgerichts, hält ein Moratorium für Alt-AKWs nicht für juristisch wasserdicht – und Schadensersatzansprüche an die AKW-Betreiber für möglich. "

     

     

    Schadensersatzansprüche an die AKW-Betreiber ?? wohl eher Schadensersatzansprüche der AKW-Betreiber