Ex-Bundespräsident Horst Köhler ist tot: Manchmal farblos, meistens klug
Ein kompliziertes Casting machte Horst Köhler einst zum Bundespräsident. Im Amt war er proafrikanisch, christlich grundiert und politisch klug. Ein Nachruf.
Er war weder ein politisches Schwergewicht wie sein Vorgänger, der Sozialdemokrat Johannes Rau, noch war er ein Wegzulobender wie sein Nachfolger, Christian Wulff. Er war auch kein politischer Dissident wie sein späterer Nachfolger Joachim Gauck. Köhler, CDU-Mitglied erst seit 1981, kam aus der Wissenschaft. 1977 promovierte er mit einer Arbeit unter dem Titel „Freisetzung von Arbeit durch technischen Fortschritt“. Er wurde Finanz- und Wirtschaftsexperte, stieg in höhere Ministeriumsränge auf.
Dass er schließlich, trotz rot-grüner Bundesregierung und Mehrheit im Bundestag, von Oppositionsführerin Angela Merkel für die Kandidatur auserkoren wurde, lag an der Zusammensetzung der Bundesversammlung. Union, FDP und Freie Wähler hatten hier die Mehrheit. Als Konservativer ohne reaktionäres Profil, als einer aus dem Staatsapparat, als Verfassungspatriot schien er eine politisch sichere Wahl.
Er wurde trotz gewünschter Farblosigkeit ein Mann mit als wichtig anerkannten Eigenschaften: Horst Köhler widmete sich besonders der Entwicklungspolitik, vor allem in Afrika und Asien. Sein Credo: Deutschland interessiere sich nicht genug für Afrika, es verkenne den Kontinent als Weltflecken der Armut. Er glaubte an die Chancen technischen Fortschritts. Entwicklungshilfe zur Armutslinderung sei zu wenig. Er hoffte stets, dass deutsche Unternehmen – wie aktuell besonders chinesische – in Projekte Afrikas investieren.
Merkel versuchte ihn vom Bleiben zu überzeugen
Seine Wiederwahl 2009 war fraglos gewollt. Nicht jedoch, dass er 2010 auf dem Rückflug nach einem Besuch bei der Bundeswehr in Afghanistan einem Reporter sagte: „Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren.“ Die Empörung im linken Spektrum nach dieser Aussage war groß. Jürgen Trittin, Fraktionschef der Grünen, sprach von „Kanonenbootpolitik“.
Doch auch im eigenen Lager fanden solch offene Worte keinen Applaus: Ein Bundespräsident habe sich politisch zurückzuhalten. Dass der Mann nur aussprach, was heutzutage als außenpolitischer Komment gelten kann, verblüfft in der Klarheit noch jetzt. Wenige Tage nach dieser Aussage trat Köhler zurück. Merkel, inzwischen als Kanzlerin, will vergebens versucht haben, ihn zum Bleiben zu bewegen. Ihm werde viel Schlimmes vorgeworfen, so Köhler, etwa, dass er das Grundgesetz angegriffen habe.
Nach seiner Amtszeit fand Köhler seine Aufgabe auch in der UNO. Sein Wirken blieb proafrikanisch, christlich grundiert, politisch klüger als das der allermeisten in der deutschen Politik. Er verstand sich als Weltbürger, der über den eigenen Horizont hinausblicken wollte.
Im Alter von 81 Jahren ist Horst Köhler am Samstag in Berlin gestorben.
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