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Ewige Kreisbewegung

Sandor Marais „Glut“ am Thalia Theater  ■ Von Petra Schellen

Eigentlich ist Glut ein ambivalenter Zustand. Von außen oder von innen zu betrachten und doch jeweils komplett verschieden: Eisen kann zur Rot-, Gelb- und Weißglut kommen, bis es endlich schmilzt. Das andere Extrem: Ein Holzscheit glüht noch ewig vor sich hin, als wolle er nicht wahrhaben, dass es für diesmal vorbei ist mit Leuchten.

Unvorhersehbar ist, wie lange das Nachglühen dauert, unerklärlich auch, wie lange ein Mensch braucht, um längst Gedachtes auszusprechen. Oder um endlich den geeigneten Gesprächspartner zur Rekonstruktion der Vergangenheit zu finden: 40 Jahre hat in Sandor Marais Roman Glut Henrik auf die Wiederbegegnung mit seinem Jugendfreund Konrad gewartet. 40 Jahre lang hat er sich gefragt, ob Konrad damals mit Henriks Frau Krisztina fremdging und ob er ihn damals auf der Jagd ermorden wollte.

Fragen über Leben und Tod, über Möglichkeit und Realität hat sich der Gealterte gestellt – und doch gewusst, dass nur das Gespräch mit dem Freund und Konkurrenten Klärung bringen kann. „Das Warten hat die beiden am Leben erhalten“, sagt Hartmut Wickert, der das Stück – in der dramatisierten Fassung von Knut Boeser – jetzt am Thalia Theater inszeniert.

Etliche Jahre sind vergangen, seit – nach jenem Mordversuch – Konrad in die Tropen verschwand und Henrik seine Frau acht Jahre lang mit Schweigen strafte, bis sie starb. Gescheitert sei Krisztina am Versuch, sowohl mit dem pragmatischen Henrik als auch mit dem sensiblen Konrad zu leben, sagt Wickert. „Letztlich wird die Frau in diesem Stück einer komplizierten Männerbeziehung geopfert.“

Auf ihre Art heimatlos sind die beiden Alten, die bei Wickert „wie Monolithen nebeneinander sitzen, auch dann, wenn nur einer spricht“. Und doch habe Konrads Schweigen eine „integrative Wirkung: Henriks Reden ist immer gerichtet, er murmelt nicht einfach vor sich hin.“ Fast könne man es, findet Wickert, „mit der Situation der Beichte vergleichen, einer Lebensbeichte sozusagen, in deren Verlauf Henrik prüft, wofür sich eigentlich zu leben gelohnt hat“. Und bei der man ja auch nicht alle Fragen beantwortet bekomme.

Trotzdem: Übertrieben psychologisieren will Wickert nicht. „Dafür sind die Konstruktionen der beiden zu komplex“ – zumal völlig unklar sei, welcher Bruchteil des Gesprochenen der äußeren Realität entspreche. „Während seines Monologs kreist Henrik konstant um die eigene Verletzbarkeit – die Tatsache nämlich, dass seiner Frau ihm damals etwas vorgemacht hat.“ Mal anklagend, mal rhetorisch fragend, dann wieder voller Selbstzweifel spricht Henrik, erwägt Möglichkeiten seines Selbst, konstruiert Identitäten und verwirft sie wieder. „Ein Thema, das ich gerade in der heutigen Zeit hochaktuell finde, da ja jeder aus diesen Konstruktionen heraus lebt und sich ständig von vielen beobachtet wähnt“, so Wickert.

Und doch erreichen die beiden Greise den neuralgischen Punkt nie. Nicht einmal zur Beantwortung der brennendsten Frage reicht es: denn Henrik unterbricht Konrad sofort, als der auf den Mordvorwurf antworten will. Aus Angst? „Angst spielt zu diesem Zeitpunkt keine Rolle mehr“, glaubt Wickert. „Ich denke, das Prinzip ist ein anderes: Gerade durch das Reden wird das, was an Er-Lösung möglich ist, das Formulieren der Fragen nämlich, geleistet.“

Mehr braucht Henrik nicht, um endlich sterben zu können – und doch bleibt die Frage nach Authentizität irgendwo zwischen all dem Wortmaché hängen: Wo ist Identität, wenn jede Selbst-Konstruktion auf der Stelle wieder zurückgenomnen wird? „Das einzige, was wir hier zeigen können, sind die Bewegungen, die die beiden umeinander machen.“ Und nur an wenigen Stellen – als Henrik zum Beispiel behauptet, Krisztina habe Konrad nach dem missglückten Mord der Feigheit bezichtigt, zeigt sich eine winzige authentische Reaktion des Freundes. Aber nur ganz kurz, als sei die Erdkruste sekundenlang einen winzigen Riss weit aufgezuckt – um sich erschreckt sofort wieder zu schließen.

Was die beiden letztlich gewonnen haben durch das Gespräch? „Konkret Fassbares vielleicht nicht, aber Henrik hat Konrad am Schluss ein bisschen von seiner selbstgerechten Unberührtheit genommen: Konrad war überzeugt, mit dem Tod Krisztinas nichts zu tun zu haben – und nach dem Gespräch hat er wenigstens diffus das Gefühl, eine Mitschuld an ihrem Tod zu tragen. Und wenn Henrik zu seiner alten Amme Nini sagt, sie solle das Bild der verstorbenen Krisztina wieder aufhängen, scheint es, als habe er sich die Frau von Konrad wieder zurückgeholt.“

Premiere: 3. November, 20 Uhr, Thalia Theater

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