frisches flimmern : Ewige Fragen
Ob göttlicher Weltenlenker oder ewiges Weltgesetz. Die Menschen eint die fortwährende Suche nach dem Sinn des Ganzen. Zwei Filme geben auf bezeichnende Weise Einblick in unterschiedliche Weltreligionen.
Warum?
Jesus ist eine der gefragtesten Figuren in der Filmgeschichte. Mit dem Jesus-Film begann sogar das eigentliche Erzählkino, denn die Geschichte war bekannt und für jeden verständlich. Auch Mel Gibson verfilmt mit seinem Brachialschocker „Die Passion Christi“ diesen ewig populären Stoff. Gedreht wurde in den versiegten Sprachen aramäisch und lateinisch. Die Handlung umreißt die letzten zwölf Stunden im Leben des Mannes auf Nazareth. Jesus (Jim Caviezel) betet im Garten von Gethsemane, wo er dem Teufel widersteht. Von Judas verraten wird er festgenommen. Sein langer Leidensweg endet mit der fürchterlichen Kreuzigung in Golgatha. Gibson ist ein Requisiteur des Grauens. Er stattet seinen Film mit Splatterelementen aus. Er zeigt spritzendes Blut und kaputtes Fleisch in Grossaufnahme. Man sieht Misshandlungen durch römische Soldaten in Zeitlupe. Man hört überdeutlich die Schläge der Nagelpeitsche, während Jesus unter der Last des Kreuzes immer wieder zusammenbricht. Authentisch soll das Leid wirken. Eine Deutung des Gezeigten gibt es nicht. Christliches Heil und Erlösung werden so ausgeklammert. Den Vorwurf, sein Film enthalte antisemitische Motive, muß er sich gefallen lassen. Die Darstellung geifernder Juden und die eines verhalten agierenden Pilatus (Hristo Naumov Shopov) sind visuelle Schuldzuweisungen. Doch Gibson bedient hier einfältig die Klischees. Was fehlt ist eine spirituelle Kraft der Bilder. Wie es vielleicht ausgesehen hat, zeigt der Regisseur. Worum es eigentlich geht, nicht. Am Ende wünscht man sich im dunklen Kinosaal nur eins: Es werde Licht.
Wohin?
“Aus Begierde entsteht Abhängigkeit, daraus Mordlust“, sagt der alte Mönch (Oh Young-Su). Er weiß um das Leben mit all seinen Verblendungen und Leidenschaften. Der Mönch wohnt mit seinem Schüler (Kim Jong-Ho) in einem Kloster, das in der Mitte des Jusan Sees schwimmt. Wie ein eigenes Weltsystem ruht der kleine buddhistische Tempel auf dem Wasser, umspielt vom Wind. Sie führen ein Einsiedlerleben in ihrem abgeschiedenen Tal, umgeben von der Natur. Die immanenten Gesetze eines ewigen Weltprozesses gelten jedoch auch für den Mönch und seinen Lehrling. Im Sommer bringt eine Frau aus der Stadt ihre kranke Tochter in den Tempel, damit sie sich dort erholt. Der junge Mönch (Seo Jae-Kyung) verliebt sich in das Mädchen (Ha Yeo-Jin). Doch in ihm erwacht die Gier - nach Leben. Heimlich folgt er dem Mädchen in die Stadt. Mit fatalen Folgen. Als Mörder taucht er Jahre später im Herbst auf und wird verhaftet. Nach langer Zeit kehrt er im Winter erneut zum Tempel zurück. Gereift nimmt er den Platz seines verstorbenen Lehrmeisters ein. Der Kreis schließt sich. Die koreanisch-deutsche Produktion „Frühling, Sommer, Herbst, Winter ... und Frühling“ von Kim Ki-Duk ist eine Parabel über grundsätzliche Fragen der buddhistischen Lehre. In fünf Episoden, die dem Rhythmus der Jahreszeiten entsprechen, erzählt Kim seine universelle Geschichte vom Werden und Vergehen im ewigen Kreislauf des Lebens. Es geht um die Suche nach Erkenntnis. Die koreanische Filmindustrie hat sich in den letzten Jahren vom großen Vorbild des Hongkong-Films gelöst. Das moderne südkoreanische Kino spiegelt die Spannungen zwischen traditioneller buddhistischer Kultur und moderner Gesellschaft wider. Aufsehen erregte Kim Ki-Duk bisher mit der Darstellung wilder Gewaltszenen (“The Isle“, „Coast Guard“). Mit unendlicher Ruhe und einem Sinn für die Schönheit der Natur inszenierte er seinen Film über Liebe, Leiden, Weisheit und Tod. Was in „Die Passion Christi“ fehlt, besitzt „Frühling, Sommer, Herbst, Winter ... und Frühling“ in Hülle und Fülle: Spiritualität.
STEFAN ORTMANN