Event: Und jetzt alle vor die Bühne!
Es war das Wochenende des Stadion-Punk: Tote Hosen und Ärzte gaben sich auf dem Tempelhofer Feld das Mikro in die Hand.
„Soll das heißen, du warst in deiner Jugend erst Hosen- und dann Ärzte-Fan?“ Auf die Frage kann ich leider nur bedröppelt nicken, obwohl ich den Zeitraum eher als Kindheit titulieren würde. Denn ohne zu tief in die Vergleichskiste zu greifen: Das ist etwa so, wie im Beatles-Shirt auf ein Stones-Konzert zu gehen. Oder besser gesagt, mit einer Body-Count-Wollmütze auf ein Kelly-Family-Konzert. Letzteres habe ich allerdings schon mal getan, insofern kann mich der vorwurfsvolle Blick meiner Begleitung nicht mehr schocken. Und es ist ja nicht mein Verdienst, geschweige denn meine Schuld, dass die Ärzte und die Toten Hosen an drei aufeinanderfolgenden Tagen auf dem Tempelhofer Feld spielen. An diesem Freitag jedoch sorgen allein die Düsseldorfer für einen Massenauflauf auf dem ehemaligen Rollfeld, es gibt also gar keinen Anlass für derlei Grundsatzdebatten.
Wo sonst geskatet oder gemodelt wird, wo bereits jede Menge Technopartys und Grillabende zelebriert wurden, hat man kurzerhand eine gigantische Bühne mit vier nicht minder großen Leinwänden aufgebaut, für insgesamt 120.000 Besucher. Eine Armada an Grillwalkern und menschlichen Bierfässern ist aufgefahren worden, die Schlangen vor den Dixi-Klos stehen der Schlange vor dem Eingang in nichts nach, und die Anzahl der orangefarbenen Securitywesten verstärkt den Eindruck, man sei auf der Loveparade. Zumindest bevor die Musik losgeht.
Es kommt wie immer
Seit dem frühen Nachmittag kampieren die ersten Gäste auf der Landebahn, das Wetter lädt zum Picknicken ein, vor allem aber zum Biertrinken. Als wir uns mit einem ersten kalten Gerstengetränk auf die Pressetribüne setzen, weiß ich zwar schon, dass es so kommt wie bei jedem Tote-Hosen-Konzert, verrate meiner Begleitung jedoch noch nichts. Man will ja die Überraschung nicht verderben.
Es ist ein altes Ritual bei derlei Deutschrockkonzerten mit jahrzehntelang herangezüchteten Fanlagern: Vorne tummeln sich die Hardcore-Anhänger mit riesigen Fahnen und Pyrotechnik im Gepäck, weiter hinten stehen die Gesitteten. Und das genau eine Stunde lang – dann nämlich merken die Zurückhaltenden, dass Tote-Hosen-Lieder nach dem dritten Bier extremes Mitgrölpotenzial haben, und versuchen sich in den Bereich vor der Bühne zu drängeln.
Nur ist das diesmal nicht möglich. Laut Veranstalter hat man den Bühnenaufbau so konzipiert, dass die übrigen Parkbesucher das Konzert nicht miterleben können. Generell schon eine merkwürdige Haltung. Leider mit dem traurigen Ergebnis, dass auch alle, die nicht im vorderen Drittel oder auf der Pressetribüne stehen, die Band nur auf der Leinwand erleben können – so wie die Leute hinter dem Zaun. Auch die spezielle Soundtechnik, die doch verhindern soll, dass die Musik im Park zu hören ist, funktioniert nicht wie geplant: Sämtliche Gratis-Besucher singen und schwofen im Takt mit.
Umtexten geht ja nicht
Inzwischen haben Kraftklub die Bühne geentert, „Ich will nicht nach Berlin“ tönt es von der Bühne und aus Tausenden Kehlen auf dem 23 Hektar großen Konzertareal und in der weitläufigen Parkanlage. Dabei wohnen die Bandmitglieder längst in Kreuzberger Altbauwohnungen, munkelt man, aber deswegen kann man ja schlecht einen ganzen Song umtexten.
Als schlussendlich die Hosen auf die Bühne stürmen und mit gewohnt routiniertem Berlin-Düsseldorf-Gestänker für gute Laune sorgen, liegen sich die meisten bereits schunkelnd in den Armen. Die Band unterbricht das Konzert ein ums andere Mal, wenn Sänger Campino das Gefühl hat, dass die Masse nicht mehr Herr der Lage ist, bittet jedoch auch darum, nicht jedes Mal das Notzeichen von den Securitys zu bekommen, „nur weil jemandem die Zahnspange runtergefallen ist“. Man befindet sich ja immer noch auf einem Rockkonzert, auch wenn es ein durchkommerzialisiertes Massenevent ist. Eine knappe Stunde später kommt es, wie es kommen musste, im rot-weißen Konfettiregen stehen wir in der ersten Reihe, und ja, auch wir umarmen wildfremde Menschen.
Wenn Sie sich jetzt fragen, warum wir das getan haben: einfach, weil wir es konnten.
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