piwik no script img

■ NachschlagEvent, Event! Rammstein kriegen Platin in Rummelsburg

Zur Belohnung für die Irrfahrt quer durch Berlins Pampa gab es am Eingang gleich den ersten Sliwowitz, serviert von Damen mit rosa Petticoat und Sonnenbrille. Mitten in der Eingangshalle des schönsten realsozialistischen Prachtbaus, dem ehemaligen Haus des Rundfunks der DDR, saß ein gut angezogener Musikant vor einer ziemlich fiesen Farfisaorgel und spielte „Griechischer Wein“. Dazu konnte man an der Bar Rammstein-Punch kosten, der nach Badesalz schmeckte. Zwei stilsichere Grufties, Männer mit Samtfliegen und dergleichen wichtige Menschen mehr stolzierten aufgekratzt herum und wollten beobachtet werden.

Ein feierlicher Anlaß, dieses. Schließlich geschieht es nicht alle Tage, daß eine deutsche Band aus dem Osten und noch dazu mit grimmig alternativem Gestus so irre viele Platten verkauft. Aber wo waren sie eigentlich, unsere guten Jungs, die kapitalistischen Wunderknaben und Rächer der enterbten Ossis, die dumpfbackigen Drastiker und treusorgenden Familienväter? Im Sendesaal, der angeblich besonders für Wagners Lohengrin die allerbeste Akustik haben soll, mußten sie ja schließlich auftauchen. Hier sollte ihnen Platin für die vorletzte Platte „Herzeleid“, Gold und Platin für „Sehnsucht“ verliehen werden. Aber zunächst mußten zu Bachs berühmter Toccata an der Orgel abwechselnd Bronzeengel, Gipsschafe, Wachsmusikanten und eine halbnackte Frau in weißen Strapsen angestrahlt werden. Was wie täppisches Schülertheater aussah, sollte wohl gnadenlos gigantisch rüberkommen. Selbst Motor-Music-Chef Tim Renner wirkte aber im Flutlicht eher fehlbesetzt. Er, der sonst gern vom Ende des Mainstream spricht, mußte sich jetzt froh darüber geben, daß so viele Rammstein-Bedürftige aufgetaucht sind. Er bedankte sich für das Kommen einiger Industrieller „in der Reihenfolge der Macht“.

Als es an die Verteilung der Platten ging, schlurften endlich auch die Rammsteine selbst etwas gelangweilt auf die Bühne. Achselzuckend setzten sie sich wieder, als sich herausstellte, daß drei der dicken Alben auf dem Weg in den Saal verloren gegangen waren. Als könnten sie nicht nur dafür nichts. Es folgte der Höhepunkt des Abends. Nicht Rammstein, sondern die rumänische Blaskapelle Fanfara Ciocarlia verwandelte das Rundfunkgebäude in einen anarchisch balkanischen Underground mit kaltem Buffet. Rammstein selbst waren eigentlich überflüssig. Es wäre kaum aufgefallen, hätten sie sich in den alten Studios des verwaisten Rundfunkhauses versteckt, um ein letztes Mal den Geist von DT64 zu atmen. Susanne Messmer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen