Evangelikaler Kita-Träger abserviert: Lieber ohne Mission
In Bremen-Blumenthal wollte ein evangelikales Sozialwerk ein Sozialzentrum errichten. Nach einer Intervention der Linken ist das Projekt vom Tisch.
Doch nun ist das Sozialwerk als Träger vom Tisch. Die Kita wird stattdessen vom säkularen Träger „Kindertagesstätten Nord e.V.“ realisiert. Wie ist das passiert?
Das Sozialwerk „Perspektive Oldenburg“, das das Projekt „Ermlandstraße 2020“ angeregt hatte, ist der karikative Zweig einer freichristlichen, evangelikalen Gemeinde aus Oldenburg. Bereits im Frühjahr 2019 warfen taz-Recherchen ein kritisches Licht auf die evangelikale Gemeinde.
Denn innerhalb der zahlreichen freikirchlichen Gemeinden in Deutschland gilt die Pfingstbewegung, zu denen auch die Oldenburger Freichristen gehören, als die radikalste und reaktionärste, aber auch dynamischste und hippste Strömung. Seit Jahren befindet sie sich im globalen Aufwind: US-Präsident Donald Trump ließ sich unlängst per Handauflegen für das Wahljahr 2020 segnen, und in den brasilianischen Favelas präparierte die Pfingstbewegung die Bevölkerung für die Wahl ihres rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro.
Sofia Leonidakis, Fraktionsvorsitzende der Linken
In Deutschland sieht die Pfingstbewegung ihre Aufgabe in der Evangelisation, also der christlichen Missionierung im eigenen Land. Dies geschieht im freundlichen und poppigen Gewand auf Festivals, YouTube oder in Fußgängerzonen, stets im Gepäck sind Bibelfundamentalismus, Sexismus und Homophobie.
Hauptverantwortlich für die politische Koordination des Projekts war Peter Nowack, der an diesem Montag abgewählte Ortsamtsleiter von Blumenthal. Schon im Frühsommer 2019 habe ihn die Bremer Bildungssenatorin, Claudia Bogedan (SPD), auf starke Bedenken der Linksfraktion bezüglich der konfessionellen Ausrichtung des Trägers hingewiesen, so Nowack auf Anfrage.
„Nach einem gemeinsamen Gespräch mit mir und der Fraktionsvorsitzenden der Linken, Sofia Leonidakis, konnte keine Einigung erzielt werden, weswegen ich mich auf die Suche nach einem neuen Träger gemacht habe“, schildert Nowack. „Glücklicherweise konnte ich den gemeinnützigen Träger Kindertagesstätten Nord e.V., der bereits einige Kitas hier in Nord betreibt, für die Sache gewinnen.“ Für ihn sei „einfach wichtig, dass wir hier die Kitaplätze bekommen, die wir brauchen, um die Vorgaben des Senats zu erfüllen“.
Vorerst wird also erst einmal die Kindertagesstätte gebaut. Perspektivisch soll laut des ehemaligen Ortsamtsleiters aber das gesamte Projekt, inklusive sozial-psychologischer Beratungsstelle, dem In- und Outdoorspielplatz und der Wohngruppe durch verschiedene Träger realisiert werden. Die Planung dafür könne aber erst nach den Haushaltsverhandlungen der rot-rot-grünen Regierungskoalition ernsthaft in Angriff genommen werden.
„Ich bin erst mal total froh, dass das Projekt realisiert wird, da solch ein soziales Angebot in Blumenthal dringend gebraucht wird“, sagt Sofia Leonidakis, kinderpolitische Sprecherin und Fraktionsvorsitzende der Linken in der Bürgerschaft. „Allerdings“, bekräftigt sie, „haben wir als Linke immer klar gemacht, dass mit einem evangelikalen oder kommerziellen Träger bei uns eine rote Linie überschritten wird. Leider sind viele der Bremer gemeinnützigen oder kommunalen Träger organisatorisch und personell fast am Limit mit der Schaffung weiterer Kitaplätze. Insofern sind wir besonders erleichtert, dass die Kooperation mit dem Sozialwerk,Perspektive Oldenburg' vom Tisch ist.“
Bis nun offiziell mit dem Bau des Kitaprojekts unter einem säkularen Träger begonnen werden kann, müssen noch einige Hürden genommen werden. Zunächst muss der neue Träger „Kindertagesstätten Nord e.V.“ eine Interessensbekundung bei der Behörde einreichen. Nach der Prüfung entscheidet dann der Unterausschuss „Frühkindliche Bildung“ in der Bürgerschaft über den Antrag. Bis dahin können noch mehrere Monate verstreichen.
Selbst bauen will der neue Träger nicht, als Voraussetzung für den Betrieb fordert er, dass der Bau durch eine externe Partei übernommen wird. Das scheint kein Hindernis mehr zu sein: Ein Investor habe sich bereits gefunden, so Nowack. Er selbst hofft auf eine Eröffnung der Kita im Sommer 2021.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland