Evaluierung des Geophysik-Instituts Liag: Im Erdboden versunken
Die Leibniz-Gemeinschaft will sich sich von ihrem Geophysik-Institut (Liag) in Hannover trennen. Ein Grund ist die mangelnde Profilbildung.
Das Leibniz-Institut für Angewandte Geophysik wurde 1948 unter der Bezeichnung „Geowissenschaftliche Gemeinschaftsaufgaben“ durch die westlichen Bundesländer in Hannover gegründet und war zunächst Teil einer staatlichen Behörde. 1977 wurde es in den Leibniz-Vorläufer „Blaue Liste“ aufgenommen, über die eine Bundesfinanzierung von Landesinstituten geregelt wurde.
Ziel des Liag ist bis heute die anwendungsnahe Untersuchung der wirtschaftlich nutzbaren Bodenschichten, etwa zum Einsatz von Geothermie. Auf der Nordseeinsel Borkum wird die Trennung von salzigen und süßen Grundwasserschichten untersucht, um die Trinkwasserversorgung der Bevölkerung zu verbessern. Auch mit sogenannten Erdfällen, bei denen sich der Boden zu kleinen bis größeren Löchern öffnet, hat das Liag regelmäßig zu tun.
Mithilfe von eigens entwickelten Messmethoden wie der Scherwellenseismik werden Informationen über Aufbau und Struktur des Untergrundes ermittelt. So im thüringischen Schmalkalden, wo die unterirdische Auswaschung von Gipsschichten Hohlräume erzeugte, die 2010 zu einem spektakulären Einsturz ganzer Straßen führte. Mit Sonden wird die Lage in Lüneburg überwacht: auch hier kommt es durch Auswaschungen im Salzstock unter der Stadt, der einst ihren Reichtum begründete, fortlaufend zu Erdfällen.
Mit seiner Geokompetenz ist das Liag mit 90 Mitarbeitern und einem Jahresetat von 10,6 Millionen Euro (finanziert zu 50 Prozent vom Bundeswirtschaftsministerium, 37,5 Prozent vom Land Niedersachsen und 12,5 Prozent von den übrigen Bundesländern) auch ein Teil des „Geozentrums Hannover“. Darin arbeiten neben dem Leibniz-Institut die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) und das Niedersächsische Landesamt für Bergbau, Energie und Rohstoffe (LBEG) zusammen.
Profilbildung fehlt
Seine Praxisstärke und die administrative Verflechtung drohen dem Liag nun aber wissenschaftlich zum Verhängnis zu werden. Denn schon bei ihrer letzten Prüfung im Jahre 2012 hatten die Leibniz-Evaluatoren dem Institut empfohlen, sich stärker um seine wissenschaftliche Profilbildung zu kümmern.
Ohne Erfolg. In seinem Bericht (pdf-Datei) stellt der Leibniz-Senat fest, „dass die vor sieben Jahren angemahnten grundlegenden Verbesserungen nicht im erwarteten Maß erreicht worden“ seien. Statt sich um das Wissenschaftsprofil zu kümmern, konzentriere sich das Liag „weiterhin auf die Entwicklung von zwei Fachinformationsdiensten und die Methodenentwicklung“. Diese seien für sich genommen zwar sehr gut. Es bleibe aber „unklar, welche wissenschaftlichen Ziele man mit diesen Entwicklungen verfolge“.
Die neuen Geo-Methoden würden zudem „nur unzureichend nach außen getragen“ oder im Rahmen von Kooperationen Partnern zur Verfügung gestellt. Insgesamt gesehen seien die Liag-Leistungen „gegenüber der vergangenen Evaluierung vor sieben Jahren rückläufig“. Diese Situation – beantwortet der Evaluationsbericht indirekt die Schuldfrage – sei „maßgeblich darauf zurückzuführen, dass das Aufsichtsgremium des Liag wesentliche Weichenstellungen versäumte, die zu einer anderen Entwicklung hätten führen können“. Etwa die Besetzung der seit 2016 vakanten Stelle des Instituts-Direktors oder die „Beseitigung administrativer Hemmnisse“.
„Als eines der Gründungsmitglieder der Leibniz-Gemeinschaft und seiner Vorgängerorganisationen bedauern wir die Entscheidung zutiefst“, sagte Professor Manfred Frechen als stellvertretender Direktor des Liag in einer ersten Reaktion. Man werde alles versuchen, dass das Institut in anderer Form weiter geophysikalische Forschung betreiben könne. Aus dem niedersächsischen Wirtschaftsministerium kamen erste Signale, dass die Landesregierung den geologischen Forschungsstandort Hannover erhalten wolle. In welcher Form, müsse nun in Gesprächen zwischen den zuständigen Ministerien und dem Liag geklärt werden. Am 11. April kommt das Kuratorium des Instituts zusammen, um seinen eigenen wissenschaftlichen „Erdfall“ zu beraten.
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