Eurovision Song Contest als Werbeplattform: Russlands Millionen-Investition
Russland soll zehn Millionen Dollar in seinen Auftritt beim bevorstehenden Eurovision Song Contest 2008 investiert haben – um das Festival nach Moskau zu holen.
Ein Sieg beim größten europäischen Popfestival ist stark prestigebehaftet: Serbiens demokratische Elite erkannte dies spätestens vor einem Jahr, als Marija Serifovic mit "Molitva" beim Grand-Prix-Debüt des restjugoslawischen Landes gewinnen konnte. Ein Eurovisionsfest zu veranstalten kostet zwar nach Angaben von Svante Stockselius, Generalsekretär des Eurovision Song Contest (ESC), je nach Marktlage in den einzelnen Laendern zwischen zehn und 20 Millionen Euro – aber der Promotionwert für ein Veranstalterland ist immens. Estland konnte sich 2002, als erstes postsowjetisches Land, als professionell funktionierendes Land der Europäischen Union in spe profilieren, ebenso Lettland im Jahr darauf. Die Türkei, nach Sertab Ereners Sieg 2003, mochte 2004 beweisen, dass es das europäische gesinnte Scharnier zum Orient sein kann.
Ein Land aber setzt fast alles daran, endlich auch einmal zu siegen: Russland. Erstmals war es 1994 in Dublin dabei, drei Jahre nach dem Fall des sozialistischen Regimes. 2000 schaffte man den zweiten Platz – und erstmals machte man damals in Stockholm mit der Millionärstochter Alsou die Erfahrung, dass beim ESC neben Talenten als Performer und Sänger vor allem Dinge wie Reklame auch außerhalb des eigenen Popmarktes wichtig sind. Mit dem Wiederaufstieg Russlands als Rohstoffmulti, von dem das kleinteiligere Europa in Zukunft abhängiger denn je wird, ist ein Sieg in einer Show wichtig, die sich selbst, Jahr für Jahr, als Friedensbringerin begreift: Ein Event wie der ESC ist Krieg ohne Kollateralschäden, aber mit der Verheißung, sich Europa als gut und wahr und schön zu präsentieren.
Dieses Jahr hat das russische Fernsehen, Teil des Oligarchenimperiums, zu dem auch Putin und Medwedew zählen, den Sänger Dima Bilan geschickt – ein schnuckeliges Bürschchen, das sich auf der Belgrader Bühne zu räkeln und strecken weiß. Typisch osteuropäisch, wissen Experten: Die früheren Ostblockländer waren nie angekränkelt vom Gedanken, es komme auf Oktavenumfang und modulierende Raffinesse an. Dimar Bilans Act hat, alle Vorbereitungen in Russland, Promotourneen in Osteuropa eingerechnet, zehn Millionen Euro bisher gekostet.
Der Mann soll es endlich schaffen: Vor zwei Jahren, in Athen, belegte er bereits einmal den zweiten Platz mit einer überkandidelten Performance, auf der er auf einem Klavier turnte, aus dessen Saitenkasten eine Ballerina lugte, die er nach knapp drei Minuten des Liedes mit Rosenblüten bestreute. Was minimalistisch gestimmte Popästheten gruseln ließ, begeisterte offenbar das Publikum in postsowjetischen Gebieten wie Weißrussland, der Ukraine, Armenien und Moldawien. Der junge Mann, quasi ein Crooner in der Nachfolge des dreifachen irischen ESC-Siegers Johnny Logan, ist seither dort ein Star.
Am Dienstag Abend muss er zunächst durch das Halbfinale (21 Uhr, NDR-Fernsehen, deutscher Kommentar Peter Urban). Falls er durchkommt - woran niemand zweifelt - geht es Sonnabend vor 100 Millionen Zuschauern weltweit um die Krone, auf die Russlands Leumundsplaner so scharf sind. Offenbar aber traut man den Schlafzimmeraugentalenten des Dima Bilan nicht gänzlich. Ihm zur Seite stellt man, auf vier Quadratmeter grosser Eisfläche, die man, was kostet die Welt?, auf die Arenabühne in Belgrad platziert, die Eiskunstlegende Ewgeni Pluschenko und den berühmten Violinisten Edvin Marton, Jahrgang 74. Schrill sieht es aus: Der ESC, der immer ein Performancewettbewerb war, kommt durch den russischen Act zu neuer Bedeutung: Martons Geige ist eine Stradivari, die die Macher hinter Dima Bilan von einer Schweizer Bank für diese Festivalwoche ausliehen.
Neben Russland konkurrieren 18 weitere Länder heute im ersten Semifinale um den Finaleinzug, unter anderem auch debütierende Länder wie San Marino und Aserbaidschan. Deutschland ist im Finale als eines der Hauptzahlungsländer der Eurovision gesetzt – die No Angels aber haben in den Proben keinen Eindruck hinterlassen, der stehend ausgebrachten Beifall bei den Beobachtern im Saal provozierte.
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