: Eurosozis halten an Militärbündnissen fest
■ Aufbruchstimmung beim Berliner Kongreß der Sozialdemokraten in der EG / Intensivere Zusammenarbeit mit Osteuropa / SPD-Vorschlag für KSZE in Berlin freundlich aufgenommen / Neue Mitgliedsparteien aus Nord- und Mitteleuropa
Berlin (taz) - Mehr Soziales, mehr Demokratie und mehr Mitglieder für die Europäische Gemeinschaft - zu diesem Ergebnis kam der zweitägige Kongreß des Bundes sozialdemokratischer Parteien in der EG, der gestern in Berlin zu Ende ging. Anstatt sich schwerpunktmäßig mit der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion zu befassen, soll die EG nach dem Wunsch der Sozialisten künftig die „soziale Dimension“ in den Mittelpunkt rücken. Die Sozialcharta sei „völlig unzulänglich“, erklärte Guy Spitaels, Präsident des sozialdemokratischen Bundes. Attackieren wollen die Sozialdemokraten auch die demokratischen Defizite der EG, wozu es nach dem sich abzeichnenden Sieg der Demokratie in Osteuropa höchste Zeit sei, wie Sozialdemokratin Katharina Focke erklärte. Die für Juni in London geplante Regierungskonferenz müsse sich mit dieser Frage befassen.
Erfolge konnten die Versammelten gestern bereits auf dem Gebiet der Erweiterung des Bundes vermelden; der Kongreß hatte erwartungsgemäß die österreichischen und schweizerischen Sozialdemokraten zu Vollmitgliedern gekürt, vier nordische Parteien zu assoziierten Mitgliedern (Norwegen, Schweden, Finnland und Island) gemacht und Zypern, der Türkei und der DDR den Beobachterstatus gewährt. Dem „legitimen Anspruch der Deutschen auf einen Staat“ erteilten die Sozialdemokraten ihren Segen, vorausgesetzt, die Grenzen, die sich aus dem Zweiten Weltkrieg ergeben haben, sind gesichert. Auf jeden Fall wollen die Sozialdemokraten die Zusammenarbeit der EG mit den Ländern in Mittel- und Osteuropa „in jeder Form“ intensivieren. Der SPD-Vorschlag, eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) noch in diesem Sommer in Berlin abzuhalten, wurde von den Delegierten, darunter fast alle Parteivorsitzenden der europäischen Sozialdemokratie, „freundlich“ aufgenommen, ein förmlicher Beschluß kam jedoch nicht zustande. Die weitere Entwicklung im Herzen Europas, zu der der deutsche Einigungsprozeß erheblich beitragen könne, solle zu einer neuen Friedensordnung führen. Nato und Warschauer Pakt kämen dabei eine zunehmend „politische Rolle“ zu, sagte SPD-Vorsitzender Hans-Jochen Vogel. Beide Bündnisse behielten jedoch zunächst eine „nützliche Funktion“. Ein Überwechseln der DDR in die Nato beziehungsweise der BRD in den Warschauer Pakt schloß der Vorsitzende der dänischen Sozialdemokraten, Svend Auken, aus.
Zwar war die Stimmung auf dem Kongreß durchweg positiv wenn es um die Sozialdemokratie in Osteuropa ging, sogar euphorisch - und sämtliche Abstimmungen und Personalentscheidungen fielen einstimmig aus, doch aus der Peripherie der EG kamen auch mahnende Töne. Der Präsident der türkischen Sozialdemokratischen Partei, Erdal Inönü, erinnerte im Gespräch daran, daß Europa auch einen Süden habe. Und Mitglieder der griechischen und portugiesischen Delegationen betonten gelegentlich, die Bedeutung, die die EG-Regionalfonds für ihre Länder haben, die auf keinen Fall zugunsten des Osteuropaengagements der Gemeinschaft beschnitten werden dürften.Wenig Widerhall in der sozialdemokratischen Aufbruchstimmung fand auch die Forderung der bundesdeutschen Delegierten, Christa Randzio -Plath nach einer Frauenkonferenz noch in diesem Jahr. Zwar sei es richtig, angesichts von 16 Millionen Arbeitslosen in der EG eine wirksame Sozialcharta zu fordern, doch zugleich müsse erkannt werden, daß Armut in der EG in erster Linie ein Problem von Frauen sei.
Dorothea Hahn
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