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Europawahl"Fußball ist populärer"

Am 7. Juni, genau in einem Monat, wird das Europäische Parlament gewählt. Michael Cramer ist seit fünf Jahren Europa-Abgeordneter und findet, dass nicht jede Regierung die Erfolge Brüssels für sich verbuchen darf

Engagiert: Micheal Cramer bei einer Demo gegen Gorleben Bild: REUTERS
Interview von Stefan Alberti

taz: Herr Cramer, kaum mehr als jeder Dritte interessiert sich für das, was Sie im Europaparlament machen. Frustrierend?

Michael Cramer: Wenn man bedenkt, dass sich nur zwei Prozent der Deutschen in Parteien organisieren, ist das gar nicht so wenig. Klar, Fußball ist natürlich populärer, trotzdem wünsche ich mir eine gute Wahlbeteiligung.

Michael Cramer

Das grüne "Zugfährt für Europa" hatte 15 Jahre im Abgeordnetenhaus hinter sich, als es 2004 erstmals ins Europaparlament kam.

Auf Listenplatz sechs ist die Wiederwahl des 59-Jährigen sicher. Cramer studierte Musik, Sport und Pädagogik, kam 1975 nach Berlin und unterrichtete als Lehrer noch parallel zu seinem Abgeordnetenmandat bis 1995.

Im Europaparlament beschäftigt er sich vorwiegend mit Verkehrspolitik.

Der Berliner Mauerradweg geht auf seine Initiative zurück.

Aber der Trend ist klar. 1994 gingen in Berlin noch 53 Prozent zur Europawahl, 2004 waren es nur noch 38,6 Prozent.

Immerhin bewegen wir uns da auf Höhe der Wahlbeteiligung in den USA, mit Ausnahme der jüngsten Obama-Wahl.

Aber die USA nehmen Sie sich sonst nicht unbedingt zum Vorbild.

Keine Frage, die Wahlbeteiligung ist schlecht. Man muss aber auch aufhören, die EU immer als Prügelknabe für Entscheidungen zu benutzen, die in der Bevölkerung nicht so gut ankommen.

Umgekehrt gilt das natürlich auch: Wenn mal etwas Positives aus Brüssel kommt …

… wie auf dem Handy-Markt oder mit den verbesserten Fahrgastrechten, dann loben sich alle nationalen Regierungen dafür, dass sie es waren, die das durchgesetzt haben. Da darf man sich nicht über ein schlechtes Image wundern oder darüber, dass die Leute sagen: Warum soll ich diese Bürokraten wählen?

Es gibt sie also gar nicht, die Brüsseler Bürokratie?

Eine Zahl: Die EU hat für 500 Millionen Menschen weniger Leute in der Verwaltung als Frankfurt am Main für unter 700.000 Einwohner. Das kann man nicht eins zu eins vergleichen, aber es zeigt die Größenordnungen auf.

Ihre erste Wahlperiode in Brüssel geht nun zu Ende. Was sind die größten Unterschiede zur Berliner Landespolitik?

Die Entscheidungsfindung läuft anders. Es gibt in Brüssel nicht das Spiel zwischen einer von der Parlamentsmehrheit gestützten Regierung und der Opposition. Im Europaparlament sitzen 785 Abgeordnete aus 177 unterschiedlichen Parteien …

gegenüber rund 140 aus fünf Parteien im Berliner Abgeordnetenhaus.

Und dennoch sind wir nur in sieben Fraktionen zusammengeschlossen. Wir haben auch kein Initiativrecht, wir können also keine Gesetzentwürfe einbringen, sondern immer nur auf Vorlagen der Kommission reagieren.

Das bringt doch quasi das ganze Parlament in eine Oppositionsrolle.

So ungefähr. Und alle wissen: Nur wenn wir im Parlament starke Mehrheiten zusammenkriegen, können wir gegen die Kommission und den Rat - die jeweiligen Minister der Länder - etwas durchsetzen.

Wollen Sie jetzt sagen, es gebe keinen Fraktionszwang?

Den gibt es wirklich nicht - und das eröffnet Chancen auch für kleinere Fraktionen, eine Mehrheit für ihre Position zu organisieren. Zudem liegen die Meinungen innerhalb der einzelnen Fraktionen viel weiter auseinander als im Abgeordnetenhaus von Berlin. Gucken Sie sich mal die Sozialisten an: Die aus Frankreich sind stolz wie Bolle auf ihre 60 Atomkraftwerke. Die Sozialdemokraten aus Deutschland sind mindestens genauso stolz, dass sie mit den Grünen aus der Atomkraft ausgestiegen sind.

Trotzdem sind Sie nur einer von 785. Was lässt sich da erreichen?

Im Verkehrsausschuss, wo ich hauptsächlich Politik mache, ist das mit 51 Leuten überschaubarer. Da konnte ich durch Argumente eine große Mehrheit bekommen, um etwa den Berliner Mauer-Radweg als "Radweg Eiserner Vorhang" auf Europa zu übertragen.

Der so genannte Iron Curtain Trail.

Das ging, weil ja nicht nur Berlin und Deutschland, sondern der ganze Kontinent gespalten war. Und dafür gab es dann im Haushalt eine Mehrheit, damit diese Förderung der europäischen Identität mit 300.000 Euro als Projekt unterstützt werden kann.

Führen Sie den Satz doch mal weiter: Die EU ist für mich …

… die einzige Möglichkeit, die Interessen der Europäer bei der Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise, der Energiekrise und des Klimawandels durchzusetzen. Ein Nationalstaat allein könnte das nicht.

Das klingt ein bisschen abstrakt, gehts konkreter?

Wie grenzüberschreitend beispielsweise Luftverschmutzung ist, wissen wir in Berlin am besten. Als noch die Mauer stand, hatten wir jedes Jahr im Winter Smog-Alarm. Wir konnten im Westteil Milliarden in den Umweltschutz investieren - solange in Ostberlin mit dem Klimakiller Braunkohle geheizt wurde, hat sich nichts verändert. Heute stellt die EU viel Geld für die neuen Mitglieder zur Verfügung.

Kommen diese Botschaften bei den Wählern an, die sich am 7. Juni für die Europawahl begeistern sollen?

Das ist schwierig. Aber es gibt Dinge wie die verbesserten Fahrgastrechte, von denen die Leute ab dem 1. Januar 2010 direkt profitieren. Wenn im Fernverkehr der Zug mehr als zwei Stunden Verspätung hat, werden 50 Prozent des Fahrpreises erstattet. Dem hätte die Deutsche Bahn freiwillig nie zugestimmt.

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