Europarat-Bericht über Pressefreiheit: „Klima der Straflosigkeit“
Der Europarat nennt die Pressefreiheit in Europa „gefährdet wie nie zuvor seit dem Ende des Kalten Kriegs“. Auch verbale Angriffe von Politikern nähmen zu.
Der Europarat nennt als Beispiele einen Bombenanschlag auf eine Reporterin in Montenegro, einen Messerangriff auf einen Journalisten in Mailand und ein versuchter Giftanschlag auf Mitarbeiter einer ukrainischen Nachrichtenwebsite. 130 Journalisten befanden sich dem Bericht zufolge zudem Ende 2018 in Haft, davon allein 110 in der Türkei. Das Mittelmeerland sei damit das „weltweit größte Gefängnis für Journalisten“.
Mindestens zwei Reporter – der slowakische Journalist Jan Kuciak und der im saudiarabischen Konsulat in Istanbul getötete Jamal Khashoggi – seien wegen ihrer journalistischen Arbeit ermordet worden, erklärte der Europarat. Bei zwei anderen verdächtigen Todesfällen gebe es zumindest Zweifel bezüglich der polizeilichen Ermittlungen.
Einer betrifft die bulgarische Fernsehjournalistin Viktoria Marinowa, die im Oktober in ihrem Heimatland vergewaltigt und ermordet wurde. Beim zweiten Fall geht es um den russischen Investigativ-Reporter Maxim Borodin, der im April nach einem Sturz von seinem Balkon gestorben war. Die russischen Behörden sprachen von Suizid und verzichteten auf Strafermittlungen.
Verbale Angriffe
Insgesamt herrsche in einer Reihe von Ländern – darunter Russland, die Ukraine, die Türkei, mehrere Balkanstaaten und Aserbaidschan – ein „Klima der Straflosigkeit“, was Übergriffe auf Journalisten und Medien anbelange, stellten die Experten des Europarats fest. Mangels effizienter Ermittlungen seien 17 Morde an Journalisten, die seit den 90er Jahren begangen wurden, bis heute nicht aufgeklärt worden.
Besorgniserregend sei zudem die wachsende Zahl von verbalen Angriffen – auch von politisch Verantwortlichen. So habe der tschechische Präsident Milos Zeman im September bedauert, dass Journalisten nicht zu den „vom Aussterben bedrohten Arten“ gehören.
Besorgt äußerte sich der Europarat auch über Tendenzen, den Schutz von Quellen investigativer Journalisten auszuhöhlen – durch Hausdurchsuchungen in Redaktionen oder das Abhören von Telefonen. Einige Länder, darunter Frankreich, Großbritannien und Polen, hätten zudem Gesetze erlassen, die eine Massenüberwachung der Bürger – und damit auch von Journalisten und ihren Informanten – erleichtern.
Der Generalsekretär des Europarats, Thorbjörn Jagland, forderte die Mitgliedsstaaten auf, Maßnahmen gegen die „Erosion der Medienfreiheit“ und zum besseren Schutz von Journalisten zu ergreifen. Der Schutz von Presse- und Meinungsfreiheit sei notwendig für die Einhaltung aller anderen Menschenrechte.
Keine Antwort
Die Erhebung basiert auf Meldungen über Angriffe auf die Pressefreiheit, die zwölf Partnerorganisationen – darunter internationale Journalistenverbände, die Organisation Reporter ohne Grenzen und der Pen-Club – regelmäßig an den Europarat senden.
Die Länderorganisation fordert die betroffenen Staaten anschließend zu einer Stellungnahme auf. Nur in knapp 40 Prozent der Fälle hat der Europarat nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr eine Antwort erhalten. Russland, die Türkei, Italien, Bosnien-Herzegowina und Aserbaidschan reagierten demnach auf keine einzige Nachfrage.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!