Europaküche Die sowjetischen Streitkräfte sind 1994 aus Deutschland abgezogen. Doch sie haben eine Suppe dagelassen mit 1.000 Gesichtern: Östlich des Soljanka-Meridians
Von Philipp Maußhardt (Text) und Juliane Pieper (Illustration)
Was der Hotdog für die US-amerikanische Besatzungszone darstellte, war für die DDR Soljanka. Beide Gerichte waren nach dem Zweiten Weltkrieg von den jeweiligen Siegermächten auf die Speisekarte der Deutschen gesetzt worden, um den Krautköpfen ihre Sauerkraut-Mentalität auszutreiben. Es ist ihnen nur zum Teil gelungen.
Die Soljanka ist eine klare Suppe, deren Geschmack eine angenehme Säure hat. Ihr Name ist wohl abgleitet aus dem russischen Wort für „Dorf“ (Selo). Eine Dorfsuppe also. Andere behaupten, Soljanka sei der Name eines russischen Dorfes an der Wolga, dessen Bewohner für ihre Kochkünste berühmt gewesen wären. Aber für diese Theorie gibt es keinen Beleg und schon gar keinen real existierenden Ortsnamen.
So wie es den Weißwurst-Äquator gibt, der die Republik in einen südlichen und nördlichen Teil trennt, so gibt es auch heute noch den Soljanka-Meridian, der den Verlauf der innerdeutschen Grenze satellitengenau markiert. Schau auf die Speisekarte einer beliebigen deutschen Gaststätte: Gibt es Soljanka, bist du in den neueren Bundesländern.
Meine erste Soljanka aß ich 1982 in einem vornehmen Speiselokal in der Leipziger Altstadt. Mir gegenüber saßen zwei Stasi-Offiziere, die versuchten, mich als Mitarbeiter im Westen anzuwerben. Während wir die Soljanka löffelten (zum Hauptgang gab es Königinpasteten mit Ragout fin), hörte ich mir das Angebot an und lehnte nach dem Kaffee im Kännchen dankend ab. Ich weiß nicht mehr, ob es an der Soljanka oder an meiner Feigheit gelegen hat. Aber zum Spion, das spürte ich, hätte ich keine Talent besessen.
Heute bestelle ich die Suppe immer wieder gerne, weil sie in jedem Lokal anders schmeckt. Es gibt nicht das Soljankarezept. Es gibt Tausende von Arten, sie zuzubereiten, und in jeder Familie östlich der Elbe wird sie ein wenig anders gekocht. Oma Hilde aus Zittau zum Beispiel schwört darauf, am Ende einen ordentlichen Schuss Ketchup zuzufügen, auch wenn das besatzungshistorisch nicht korrekt ist.
Eine der besten Soljankas gibt es in der Berliner Kneipe „Deponie Nr. 3“, nicht weit vom Bahnhof Friedrichstraße. In der Halle wurden früher russische Panzer gewartet. Irgendwie ist diese Suppe eben immer politisch. In der „Deponie Nr. 3“ findet man auch die überraschende Variante einer „Fisch-Soljanka“ und damit einen weiteren Beweis, wie interpretationsfähig dieses Gericht ist: Man kann nie sicher sein, was wirklich drin ist. Fast könnte man sagen, die Soljanka ähnelt darin dem Wahlprogramm der SPD.
Zutaten (für 8 Personen):
1 kg Wurst
1 Glas saure Gurken
1 kg Zwiebeln
2 große Paprika
1 kleines Glas Kapern
1/2 Glas Peperoni
1 Tube Tomatenmark
1 Dose geschälte Tomaten
2 Lorbeerblätter
saure Sahne
Zubereitung: Die Wurst (Sorte nach Belieben) und die Gurken in Würfel schneiden, die Zwiebeln und die Peperoni in Scheiben, die Paprika in Streifen. Die Wurstwürfel anbraten, bis sie etwas Farben angenommen haben. Die Zwiebeln dazugeben. Sind sie etwas glasig, das Tomatenmark hinzugeben und unter Rühren Farbe annehmen lassen. Nun gibt man alle übrigen Zutaten hinzu, auch den Kapernsud und den Gurkensaft. Die Paprika schmort man vorher mit etwas Öl separat an. Mit Salz und Pfeffer würzen, bei Bedarf auch mit Paprikapulver. Die Suppe mit 2 Litern Brühe auffüllen und 40 Minuten bei schwacher Hitze mit leicht geöffnetem Deckel simmern lassen. So bekommt die Soljanka ihre Sämigkeit, deshalb bindet man sie auch nicht. Zum Servieren einen Esslöffel saure Sahne auf jeden Teller geben.
Dass es die Soljanka allerdings nie über die Elbe geschafft hat, liegt wohl auch an ihrem Ruf, eine Art „Restesuppe“ zu sein, in die man alles hineinschnippelt, was noch im Kühlschrank herumliegt. Das aber ist eine böse Unterstellung aus dem Westen und schlicht nicht wahr.
Diese Ignoranz ist typisch für die deutsche Wiedervereinigung – aber die wurde ja auch von einem Politiker forciert, der Kohl hieß, und das ist so ziemlich das einzige Gemüse, das nicht in die Soljanka hineingehört. Sonst wird es ein Borschtsch. Und das ist eine andere russische Suppe.
Der jüngst verstorbene Helmut Kohl könnte als erster Politiker überhaupt in einem europäischen Staatsakt in Straßburg gewürdigt werden. Der anschließende Leichenschmaus böte die gute Gelegenheit, seine Lebensleistung symbolisch mit einer Soljanka zu würdigen. Es war eben doch nicht alles schlecht im Osten.
Nächste Woche: Die Literaturwissenschaftlerin Christine Ott hat mit „Identität geht durch den Magen“ ein Buch über die Mythen der Esskultur veröffentlicht. Wir sprechen mit ihr über die Genderfrage in der Küche.
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