■ Europäischer Gerichtshof verzichtet auf Verurteilung der Türkei: Ein fatales Signal
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat das Urteil des türkischen Staatssicherheitsgerichtshofs gegen den ehemaligen Bürgermeister der kurdischen Stadt Diyarbakir, Mehdi Zana, bestätigt und lediglich einige Verfahrensfehler gerügt. Es ist ein taktisches Urteil. Die Art von „Fehlern“, die die Richter bemängeln, haben in der Türkei System, und das weiß die Kammer auch. Mehr noch: Derselbe Gerichtshof hat die Türkei erst Ende 1996 wegen erwiesener Foltervorwürfe verurteilt – und könnte das jeden Tag tun, wenn alle Opfer den Weg nach Straßburg gingen. Mit dem neuen Urteil bestätigt der Gerichtshof im Prinzip die Legitimität der türkischen Justiz, von „Fehlern“ einmal abgesehen – ein Ausgleich.
Und ein fatales Signal des „Weiter so!“ an die Türkei. Mit der PKK und ihren Unterstützern, so die Konsequenz des Urteils, darf und soll nicht gesprochen werden – sie gehören bekämpft und hinter Gitter. Mehdi Zana war nicht verurteilt worden, weil er zum Kampf aufgerufen oder gar selbst zur Waffe gegriffen hätte – im Gegenteil hatte er sich im gleichen Interview von der Gewalt distanziert. Die Bestätigung des Urteils ist so auch eine klare Aussage an die türkischen Militärs, weiterhin auf einer militärischen Lösung des Kurdistan-Konflikts zu beharren.
Daß die türkischen Anti-Terror-Gesetze mit ihren massiven Einschränkungen der Meinungsfreiheit schon per se ein Verstoß gegen die Menschenrechte sind, diese Verfahren insofern unter keinen Umständen rechtsstaatlich sein können – all das subsummiert der Gerichtshof unter Verfahrensfehlern, die mit einer Zahlung von rund 12.000 Mark an Mehdi Zana abzugleichen seien.
Es ist ein peinliches Urteil, das nur auf dem Hintergrund der Debatte um das Verhältnis der Türkei zur Europäischen Union verstanden werden kann. Um nichts in der Welt will die EU die Türkei derzeit als Vollmitglied aufnehmen, auch wenn das die US-Regierung immer mal wieder fordert, um den Nato-Partner Türkei freundlich zu stimmen, der immerhin die Luftwaffenbasis Inçirlik zur Verfügung stellt, von wo aus US-Flugzeuge den Irak erreichen können. Eine Abkehr der Türkei von Europa aber erscheint noch gefährlicher. So lavieren die europäischen Staatschefs und das institutionalisierte Europa herum. Die Menschenrechtsfrage ist dabei zu einem beliebigen Instrument geworden, das weder türkisches Militär noch Polizei oder Justiz ernsthaft beeindruckt. Wie auch. Europas Menschenrechtspolitik nimmt sich ja selbst nicht ernst. Bernd Pickert
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