Europäischer Filmpreis 2014: Das Dilemma
Der polnische Film „Ida“ gewinnt fünf Preise. Inszenierende Frauen aber gehen bei der Verleihung des Europäischen Filmpreises weitgehend leer aus.
Moje Gratulacje! Da freuen sich die Polen: „Ida“ von Pawel Pawlikowski ist in diesem Jahr der beste europäische Film. Und hat den besten Regisseur. Und das beste Drehbuch. Und die beste Kamera. Und die Herzen der EuropäerInnen: Auch der „People’s Choice Award“ ging in der diesjährigen Kulturhauptstadt Riga, wo am Wochenende zum 27. Mal die Europäischen Filmpreise verliehen wurden, an das großartige, schwarz-weiße Roadmovie.
In „Ida“ fährt die junge Nonne Marie kurz vor ihrem Gelübde zusammen mit der ihr bis dato unbekannten Tante Wanda in den frühen 60er Jahren durch Polen, auf der Suche nach ihrer neu entdeckten Vergangenheit. Dass Marie in Wirklichkeit Ida heißt und eigentlich Jüdin ist, erfährt sie nämlich erst, als sie auf Geheiß der Mutter Oberin jene einzig lebende Verwandte aufsucht, die ihr – nach anfänglichem Widerstand –, bei der Suche nach dem Grab ihrer getöteten Eltern zur Seite steht.
Wie grandios komisch ist diese Konstellation der als „Red Wanda“ bekannten, schlotgleich rauchenden und fremden Männern Schnaps bestellenden Teufelstante und der engelsgleichen Ida. Ein schweigsames Mädchen, das ihr rotes Haar unter dem Nonnenschleier verdeckt, dessen Knopfaugen aber in den von Lukasz Szal streng durchkomponierten, wuchtig-kargen Bildern bald ein Leben neben dem Kloster erahnen – ein bezaubernder junger Jazzer, den die Frauen ein Stück mitnehmen, ist vielleicht nicht die allerneueste Idee, um den hormonellen Frühling in Idas Welt zu versinnbildlichen, aber es passt.
Und wie katastrophal traurig ist dazu die Geschichte, auf dem das persönliche Coming-of-Age Idas mitsurft: Schuld, Sühne, Tod, Verlust, Trauma – anders als Jan-Ole Gersters „Oh Boy“, der seine Vorbilder visuell ebenfalls in den kinematografisch schwarz-weißen, von der Nouvelle Vague beeinflussten 1960er Jahren zu finden wusste und dem neben einigen Deutschen Filmpreisen im letzten Jahr auch der Europäische Filmpreis als beste Neuentdeckung verliehen wurde, macht Pawlikowski aus der Hüfte und mit unfehlbarem Erzählgeschick noch eine bittere Bestandsaufnahme einer großen gesellschaftlichen Wunde – des Antisemitismus im Polen während des Zweiten Weltkriegs.
Gestreite auf Esperanto
Ansonsten lief die Verleihung in der imposanten Nationaloper von Riga, freundlich grinsend und mit ausreichend Respekt moderiert von Thomas Herrmanns, smooth – bis auf die Gewinnerin des Preises für die beste Schauspielerin, Marion Cotillard (für ihre Rolle in „Zwei Tage, eine Nacht“), waren tatsächlich alle PreisträgerInnen anwesend und konnten sich vor Publikum freuen – keine Selbstverständlichkeit für die traditionell medial und in Sachen Anwesenheit stiefmütterlich abgehandelte Auszeichnung, dem manche Länder geschlossen fernzubleiben scheinen.
Genau wie inszenierende Frauen: Ein Glück ist es, dass von den 3.000 Akademiemitgliedern – neben einer Kurzfilmregisseurin, einer Komponistin (für „Under the skin“) und Preisen in den klassischen Kategorien Schnitt (für „Locke“) und Kostüm (für „Das finstere Tal“) – wenigstens noch die quietschfidele 86-jährige Regisseurin Agnès Varda für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wurde. Und die mokierte sich in ihrer Dankesrede folgerichtig über das allgemeine Fehlen der weiblichen Filmschaffenden – ob das mit der Quotenidee für Regisseurinnen auch EU-weit ein Thema wäre? Bei den EU-üblichen Einigungsschwierigkeiten ginge vermutlich jetzt schon Gestreite auf Esperanto los.
„Ida“ zeigt das Problem des namenlosen Preises, der von der 1988 gegründeten Europäischen Filmakademie (EFA) abwechselnd in Berlin (dem Sitz des EFA-Sekretariats) und in einer europäischen Stadt verliehen wird: In Deutschland lief der herausragende Film nur so kurz und heimlich, dass man ihn fast zwingend überblättern musste. Was bei „Oh Boy“ geklappt hat – schwarz-weiß, melancholisch, mit Jazz unterlegt – hätte bei „Ida“ ebenfalls klappen können, trotz oder besser wegen der relevanteren Geschichte.
Nominiert, aber unsichtbar
Doch auch viele der anderen nominierten Werke – außer Lars von Triers „Nymphomaniac Director’s Cut“, dessen Thema Sex einfach zu gut funktioniert, um ignoriert zu werden – wurden in Deutschland kaum angeschaut, oder gar nicht erst gezeigt. Mike Leighs Künstlerbiografie „Mr. Turner“, die den Kinobegeisterten bereits in Cannes präsentiert wurde und dessen Hauptdarsteller Timothy Spall in Riga mit dem Preis für den besten Schauspieler geehrt wurde, interessierte in fünf Wochen immerhin 146.700 deutsche ZuschauerInnen.
Doch ein kleines, bitteres Drama wie „Party Girl“ über eine alternde Hostess in einem Poledance-Club an der deutsch-französischen Grenze, das als „Europäische Entdeckung“ nominiert war und bei der Verleihung leer ausging, hat nach wie vor keinen Starttermin in Deutschland. Wenn ein Filmpreis das nicht ändern kann, was dann?
Darauf, die Award-Show stärker in Richtung „Event“ zu inszenieren, etwa im Fernsehen zu übertragen (nur Arte stellte einen Live-Stream bereit), europaweit bekannte Showacts oder zumindest die nominierten Musiker auftreten zu lassen, verzichtet die EFA – ob nun aus mangelndem Interesse seitens der Sender, aus finanziellen Gründen, oder aus der veralteten Überzeugung heraus, echte Kunst und Unterhaltung schlössen sich aus (nach wie vor wird in den Kategorien „Beste Komödie“ und „Bester Film“ getrennt nominiert).
Höchst unterschiedliche Filmschulen
Man will halt kein Euro-Oscar sein, sondern sich auf die genuinen Qualitäten und die höchst unterschiedlichen Filmschulen Europas besinnen. Das ist auch alles richtig und hehr. Filme in aller Munde zu transportieren, die große Kampagnen weder stemmen wollen noch können, bräuchte aber mehr Hilfe.
Steve McQueen, der in Riga für seinen „Europäischen Beitrag zum Weltkino“ ausgezeichnet wurde und der begehrteste Gesprächspartner am Ort war, dagegen eigentlich nicht mehr – „Star Power, wir hatten Brad Pitt“ antwortete der britische Regisseur lakonisch im Interview auf die Frage, wieso die Produktion von „12 years a slave (drei Oscars 2014) einfacher war als die seiner bisherigen Filme. Dass ein Hollywoodstar zur Eurofilmrettung herbeibemüht werden muss, wäre aber nun mal wirklich schlechtes Kino.
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