Europäische Schriftstellerkonferenz: Wie politisch darf Literatur sein?
30 Schriftsteller_innen sprachen in Berlin über Literatur in Zeiten von Flüchtlingskrise und Nationalismus. Bisher fehle vor allem eines: die Haltung.
Es sieht finster aus in Europa. Der eloquente Schriftsteller György Dragomán diagnostiziert in Ungarn eine Militarisierung der Sprache, eine brachiale Rhetorik, in der sich die Nation immer wieder gegen Feinde zusammenschließt. Für den klugen jungen Autor Sergej Lebedew klingt die politische Sprache in Russland wie zu Sowjetzeiten: Tapfere russische Soldaten ringen Faschisten nieder, der Westen ist böse, die russische Vergangenheit glorreich. Die kroatische Autorin Ivana Sajko berichtet, dass der neue Kulturminister in Zagreb Literaten als Parasiten bezeichnet und, wie in Polen, die Medien auf Kurs bringt.
Von Wien bis Moskau, von Helsinki bis Istanbul wird Europa von einer neoautoritären Welle überspült. Rechtspopulisten oder Schlimmeres bestimmen die Agenda. Meist ist der Flüchtling das passende Angstbild für jene, die in heilloser Regression zurück zum Nationalen streben.
Müssen Schriftsteller und Intellektuelle, so die Frage der etwas pompös „GrenzenNiederSchreiben“ betitelten „Europäischen Schriftstellerkonferenz“, da nicht solidarisch sein, entschlossen zur Waffe der Kritik greifen und Freiheit und Menschenwürde verteidigen? Das liegt nahe. Aber das Naheliegende hat oft Fallstricke.
Josef Haslinger, Vorsitzender des PEN, verkündete per TV-Interview, dass „wir als Schriftsteller für die Prinzipien zuständig sind“. Die Demokratie sei ja seit 1789 von Intellektuellen erdacht und formuliert worden. Autoren verfügen also offenbar über einen privilegierten Zugang zu den Werten, auf denen das Gemeinwesen ruht. Sie haben beim Grundsätzlichen gewissermaßen Heimrecht, während das gewöhnliche Volk es nicht so mit Prinzipien hat. In dieser Selbstüberhöhung ist ein fernes, paradoxes Echo des Vorläufers des Intellektuellen zu hören – des höfischen Ratgebers, der intimen Zugang zu Wissen und Macht hatte.
Die Konferenzidee entstammt einem Rotweinabend
Skeptisch kann man auch die enge Verbindung von Kunst und Politik sehen. Frank-Walter Steinmeier hielt eine durchaus kluge, reflektierte Eröffnungsrede. „Die Rückkehr der Schlagbäume hat uns kalt erwischt“, sagte der Außenminister und erhoffte von den Autoren angesichts von Brexit, Donezk und Idomeni „den öffnenden Blick der Kultur“. Siedelt das nicht doch nah an Imagepflege für die von allen Seiten mit Misstrauen bedachte Politik?
Nein – wenn man den Machern glaubt. Die Konferenzidee entstammt keiner PR-Abteilung, sondern einem Rotweinabend, den Steinmeier mit ein paar Schriftstellern verbrachte. Womöglich ist das Macht-und-Geist-Drama in einer liberalen, transparenten, vom Digitalen geprägten Öffentlichkeit ohne feste Deutungsmonopole ja wirklich ausgespielt.
Das Konzept der Konferenz ist überdies erfreulich experimentell. Es tagen nicht die üblichen Großschriftsteller, sondern knapp 30 Intellektuelle und Schriftstellerinnen aus aller Herren Länder, von Tunesien über Kosovo bis Litauen. Manchen Namen hatten auch versierte Literaturkritiker noch nie gehört. Nummer sicher geht anders. Das ist durchaus sympathisch.
In den Debatten in der Berliner Akademie der Künste wurden Schriftsteller und Intellektuelle durchweg in einem Atemzug genannt. Diese Unschärfe weist auf den Kern des Problems. Beschreiben und Denken, Erzählen und Analysieren sind ja verschiedene Arbeitsformen. Dem Intellektuellen liegt die politische Intervention nah – aber dem Literaten?
Der belgische Schriftsteller Peter Terrin, ein zufriedener Bewohner des Elfenbeinturms, polemisierte gegen das Engagement und beharrte auf dem Eigensinn der Literatur. „Links und rechts sind für mein Schreiben völlig unwichtig“, so die Botschaft.
Engagement versus Ästhetik
Artifizielle Texte müssen sich selbst genug sein und dürfen sich keinesfalls von Politik an die Leine führen lassen. Ein Autor muss, so Terrin, mit gleichem Einfühlungsvermögen einen Rechtsextremisten und einen Flüchtling beschreiben. Der parteiliche Schriftsteller ist hingegen deformiert. Anstatt die Untiefen der menschlichen Existenz auszuloten, mutiert er zum willigen Meinungslieferanten für Medien.
Die Debatte Engagement versus Ästhetik ist nicht neu. Aber offenbar zwingen die neoautoritären Verhältnisse zur Aktualisierung, jedenfalls dort, wo Autoren mit Repression zu tun haben. Das Schlimmste, was einem Schriftsteller in Brüssel passieren kann, sind ja übellaunige Kritiker. Einem Autor in der Türkei kann indes schon Strafe drohen, wenn er in der falschen Sprache, auf Kurdisch, schreibt.
Vielleicht aber ist die Frage – Politik oder Literatur – falsch gestellt. Joanna Bator, die als Intellektuelle und Autorin von Romanen wie „Sandberg“ und „Wolkenfern“ auf dem Feld des Erzählens und der Analyse beheimatet ist, bekundete, wie Terrin, dass politisches Engagement eigentlich vom Wesentlichen ablenkt. Bator versteht sich als linke Feministin in Polen – Politikabstinenz ist da schwer möglich.
Die Rechte hat in Polen „mit stumpfem Antiislamismus“ (Bator) die Macht erobert. Das sei die andere Seite des Versagens der Intellektuellen, die als Übersetzer zwischen dem Fremden und einer in Angst erstarrten Gesellschaft gescheitert sind. Und Bator hat bei ihresgleichen, auf Literaturfestivals in Polen, etwas Alarmierendes festgestellt. Bei aufgeschlossenen Linksliberalen herrsche eine Art Doppelsprech zwischen offiziellem und privatem Reden. Privat hegt man Ängste vor dem Fremden, öffentlich demonstriert man Toleranz.
Man kann Bators Beobachtung als Metapher für die Aufgabe des Literaten verstehen. Ob Schriftsteller kompetenter Rassismus verurteilen können als, sagen wir, taz-Leser, ist ja durchaus fraglich. Für moralische Ansprachen gegen den Hass auf Flüchtlinge sind Bischöfe womöglich besser geeignet. Autoren taugen nur bedingt als Moralinstanz. Ihr Job ist es, ihr Handwerkszeug, die Sprache, zu schärfen. Ihre Arbeit ist es nicht, Sicherheiten zu schaffen, sondern binäre Sichten aufzusprengen, Sprachblockaden, gerade die eigenen, aufzulösen. Wer wenn nicht Literaten kann eine Sprache suchen, die Raum für Ängste lässt und gegen Ressentiments gefeit ist? Der Widerspruch von Botschaft und Ästhetik verflüssigt sich in der radikalen, scharfen Selbsterforschung.
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