Europäische Globalisierungskritiker: Avanti ist nicht Campact
Globalisierungskritiker versuchen mit Hochdruck, eine neue Qualität des europäischen Protests zu etablieren – kommen aber nicht wirklich in die Puschen.
BERLIN taz | Matteo Guainazzi hatte viel zu tun in Schwalmstadt-Ziegenhain, in Rüsselsheim und Wetzlar. Eine Woche reiste der bärtige Autor und Attac-Aktivist aus Spanien durch Hessen, um in der Provinz die deutsche Landbevölkerung zu sensibilisieren, für das, was da im Krisenland Spanien gerade passiert. Vielleicht hat Guainazzi das einzig richtige Mittel gefunden: reden. Viel reden.
Er ist einer der wenigen, die derzeit mit dem Thema halbwegs durchkommen. Europäische Globalisierungskritiker versuchen seit Monaten, neue transnationale Bündnisse zu schmieden – und oft sind sie anschließend frustriert.
Vor einem Monat eröffneten Europabewegte ein neues Kampagnenportal in Brüssel: „Avanti Europe“ heißt es und hat ein wahrhaft etabliertes Vorbild: das deutsche Campact-Netzwerk, über das öffentlichkeitswirksam Protestaktionen organisiert werden.
Geht es nach seinen Machern, soll Avanti Europe eine neue Qualität des europäischen Protests etablieren: ein kräftiges, kritisches, vor allem aber europäisches Kampagnenportal sein, eine unabhängige Stimme in der europäischen Demokratie- und Finanzkrise.
Unterstützung fehlt
Allein: Das Projekt stockt, wie viele ähnliche auf europäischer Ebene. Keine 3.000 UnterzeichnerInnen unterstützen bislang die erste Petition mit dem Thema Griechenland.
Sven Giegold, Avanti-Mitbegründer und früherer Attac-Aktivist, der heute für die Grünen im Europarlament sitzt, sagt: „Wir stellen immer wieder fest, dass es schwer ist, eine gemeinsame europäische Vision zu entwickeln. Die Sichtweisen auf die Eurokrise sind in den Ländern sehr unterschiedlich.“
Giegold ist einer der Suchenden, die sich fragen: Wie kann sich eine europäische Gegenöffentlichkeit formieren, die nicht zurück in die Nationalstaaten drängt und ein Gegengewicht zur Sparpolitik Angela Merkels bildet? „Das wäre zwar dringend nötig. Doch wie das gelingt, ist völlig offen.“
Ende Mai in Frankfurt
In Deutschland versucht das linke Bündnis Blockupy Frankfurt Ende Mai erneut, mit Bankenblockaden einen solchen Impuls zu setzen. Doch bereits im letzten Jahr ließ der Zustrom europäischer Protestler stark zu wünschen übrig. Außer einer überschaubaren Zahl italienischer und slowenischer AktivistInnen gab es aus den Nachbarländern kaum Beteiligung.
Nicht schlimm, findet Mitorganisator Christoph Kleine: „Es geht nicht darum, dass viele AktivistInnen möglichst weite Wege in Europa zurücklegen, sondern darum, dass es in ganz Europa Widerstand gibt.“ Aber: In jedem Nationalstaat etwas Rambazamba, macht das schon eine europäische Bewegung aus?
Immerhin: Erst vor Kurzem feierte eine europäische Basisinitiative einen großen Erfolg, als mit der Petition gegen Wasserprivatisierung erstmals überhaupt ein Volksbegehren auf EU-Ebene die nötige Anzahl von einer Million Unterschriften erreichte.
Gemeinsame Sprache fehlt
„Im Hinblick auf spezifische Einzelfragen funktioniert die Vernetzung gut“, sagt Giegold. Wenn es um soziale Fragen gehe, fehle die gemeinsame Sprache. „Bewegungsakteure, Gewerkschaften und Kirchen haben es in Deutschland verschlafen, sich zu europäisieren.“
Das sieht Bernd Hüttemann ganz ähnlich. Er ist Generalsekretär der Europäischen Bewegung Deutschland – ein vom Auswärtigen Amt mitfinanzierter Verein, eher Lobby als Bewegungsakteur und Kämpfer für die europäische Idee. Hüttemann hält es für „eine romantische Vorstellung, dass eine soziale Bewegung auf der Straße ohne organisierte Strukturen auskommt.“
Soziale Bewegungen und etablierte Verbändestrukturen seien in der Pflicht, sich stärker miteinander zu vernetzen. „Denn bislang“, sagt Hüttemann, „gibt es eine starke transnationale soziale Bewegung in Europa einfach nicht.“
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