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EurokolumneSchmierentheater statt Therapie

Jens Berger
Kolumne
von Jens Berger

Merkel lud zum EU-Gipfel gegen Jugendarbeitslosigkeit. Anstatt echte Lösungen zu präsentieren, nutzte sie das Treffen für ihren Wahlkampf.

„Act now!“, fordern junge Menschen bei einer Demo in Berlin gegen Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Bild: dpa

M ittwoch, die Kanzlerin empfängt zum großen europäischen Gipfel gegen die Jugendarbeitslosigkeit in Berlin. Was für eine wunderbare Gelegenheit, das Image von „Mutti“ zu pflegen, der das Wohl von Europas Jugendlichen am Herz liegt. So ein Schmierentheater! Erst sorgt sie dafür, dass Millionen Menschen ihren Job verlieren, dann will sich die Kanzlerin öffentlich dafür feiern lassen, dass sie den Opfern Medizin in homöopathischen Dosen verabreicht.

Weshalb finden sechs Millionen Jugendliche in der EU keinen Job? Liegt das etwa an den Staatsschuldenquoten? Spanien hat eine von inzwischen 97 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, außerdem eine Arbeitslosenquote von 27 Prozent. Japan hat eine von derzeit 245 Prozent, aber nur 4 Prozent der Erwerbsfähigen sind arbeitslos. Einen kausalen Zusammenhang zwischen den beiden Größen scheint es demnach nicht zu geben.

Liegt es etwa an der geringen Flexibilität des Arbeitsmarktes in den besonders betroffenen Ländern? Noch eins von Merkels Lieblingsargumenten. Der japanische Arbeitsmarkt wird in Vergleichsstudien als der am striktesten regulierte innerhalb der OECD bezeichnet. Daran kann es also auch nicht liegen. Es leuchtet ja auch niemandem ein, warum die Arbeitslosigkeit in Spanien sinken sollte, wenn man den Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer abschafft.

taz
Jens Berger

ist freier Journalist und politischer Blogger. Als Redakteur der „NachDenkSeiten“ und Herausgeber des Blogs „Spiegelfechter“ schreibt er zu sozial-, wirtschafts- und finanzpolitischen Themen.

Um sich dem Mysterium zu nähern, lohnt es sich, einmal in die Rolle eines spanischen Arbeitgebers zu schlüpfen. In der realen Welt stellen Unternehmen Personal ein, wenn sie an eine Steigerung ihres Umsatzes glauben. Genau hier liegt doch der Kern des Problems: In den südeuropäischen Krisenstaaten ist keine Umsatzsteigerung in Sicht, sämtliche Konjunkturindikatoren zeigen seit Beginn der „Sparpolitik“ gen Süden. Und wenn die Wirtschaft schrumpft, die Investitionen zurückgefahren werden, werden die Unternehmen auch nicht aufhören, ihre Personalstärke zu reduzieren, geschweige denn neue Arbeitsplätze schaffen.

8 Milliarden Euro Brosamen

Die von Angela Merkel angestoßene „Sparpolitik“ in Europa hat zu einer Situation geführt, die der Ökonom Richard Koo als Bilanzrezession bezeichnet. Da Haushalte und Unternehmen ihre Ausgaben reduzieren, müsste – so Koo – der Staat einspringen und die Konjunktur durch neue, kreditfinanzierte Investitionen auffangen, um die Krise zu beenden. Wie wir wissen, sieht die Realität jedoch genau andersherum aus.

Wenn aber alle drei Sektoren auf Teufel komm raus „sparen“ wollen und sich niemand neu verschuldet, kommt es zu einer Rezession, die nicht nur durch sinkende Zinsen, sondern auch durch steigende Arbeitslosenzahlen gekennzeichnet ist. Logische Antwort darauf wäre, staatlich finanzierte Konjunkturprogramme im großen Stil aufzulegen. Der „Marshall-Plan“, mit dem der DGB die Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen will, wäre wenigstens der Anfang einer Lösung. Merkels Masterplan, die lächerlich geringe Summe von 8 Milliarden Euro für arbeitsmarktpolitische Programme zur Verfügung zu stellen, ist makroökonomisch kaum mehr als Brosamen.

Es ist zudem nicht sonderlich nachhaltig, Unternehmen Zuschüsse für Ausbildungsplätze zu zahlen – und ansonsten weiter die Ausgaben zu reduzieren. Was passiert denn mit den Arbeitsplätzen, wenn die Zuschüsse auslaufen, ohne dass die Konjunktur sich gefangen hat? Die beste Hilfe für Europas Jugend wäre es, die Konjunktur durch Investitionsprogramme anzukurbeln, die ihren Namen auch verdient haben. Dann werden die Unternehmen ganz automatisch neue Jobs schaffen – und Jugendlichen einen Ausbildungsplatz geben.

Mit Sparhaushalten ist dies jedoch nicht zu machen. Solange Angela Merkel diesen simplen Zusammenhang ignoriert, muss sie sich den Vorwurf gefallen lassen, mit dem Leid der verlorenen Generation Wahlkampf zu machen. Billige Inszenierungen sind das Letzte, was Europa in der Krise braucht.

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12 Kommentare

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  • MS
    m. soelken

    es langweilt mich die berichterstattung in allen gazetten.ich empfinde es als ein aufgeilen an symtomen. sprecht ueber die ursachen u.moegliche verbesserungen des systems.meiner meinung nach liegt das grunduebel in der aussage wachstum u.gewinnmaximierung.sie ist das uebel allen elendes womit wir uns die eigenen probleme geschaffen haben.

  • PC
    Peter Christian Nowak

    @Kopfschüttler+@Dosenpfand:

    hinter Ihrem Kommentar steckt nichts weiter, als die permanente Angst, dass die Krise Europas mit deutschen Steuergeldern bewältigt werden muss. Was wollen solche Leute wie Sie eigentlich? Was erwarten Sie? Dass der Kelch an Deutschland vorübergeht? Das wird er nicht tun!

    Und das ist gut so! Auch die 43% CDU-Wähler werden bald die Gewissheit haben, dass sie sich werden entweder freiwillig mit ihrem Geldbeutel mit den Südländern werden solidarisieren müssen, oder Ihre göttliche "Mutti" wird Sie alle dazu zwingen - will heißen: auch eine Frau Merkel wird nichts anderes übrig bleiben Ihnen etwas mehr Geld abzunehmen, um Europa zu retten. Ich empfehle Ihnen: Schrauben Sie einfach ein wenig mehr Ihren überdimensionierten Lebensstandart zurück:weniger Reisen, weniger Häuslebauen, weniger Life-Style! Das wird Ihnen allen sehr gut tun, ist gut für die Gesiundheit, gut für die Natur und letztlich gut für die Figur!

  • K
    Kopfschüttler

    Herr Berger,

     

    liefern Sie eigene Lösungen, bevor Sie Lösungen von anderen erwarten!

     

    Oder halten Sie sich einfach hier heraus...

     

    Immer wieder dieses links-grüne Geschwurbel ist einfach unerträglich und macht müde...

     

    Kopfschüttel!

  • M
    MacPaul

    "...sonst so kluge Kanzlerin"?! Was hast'n du g'raucht?

  • D
    Dosenpfand

    Es gibt gute TAZ Artikel, es gibt schlechte Artikel. Und es gibt "Berger" Artikel. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals einen halbwegs vernünftigen Kommentar vom Herr Berger gelesen zu haben. Japan mit Spanien zu vergleichen, oder die "Bilanzrezession" heranzuziehen um was zu sagen? Mehr Schulden machen? Wie kann den zB der griechische Staat einspringen, wenn der Staat selber bankrott ist, bzw keinen Kredit mehr bekommt? Herr Berger versteht nicht mal das Konzept welches hinter der "Bilanzrezession" steht.

  • OW
    Onkel Willy

    Danke Jens Berger!

    Leider gibt es unter uns viele Verblendete, wo die stärksten Argumente nicht ausreichen, die Stammtischwahrheiten zu besiegen. "Mutti macht das schon" und die "Leit(d)medien unterstützen diesen Unsinn bereitwillig oder gar vorauseilend. Die gesamte "Gipfelstürmerei" ist reinstes Wahlkampftheater und lenkt so von Untätigkeit in der Sache ab.

  • N
    noevil

    Das war der seit Langem vernünftigste Kommentar zum Thema. Ich verstehe nur nicht, warum sich unsere sonst so kluge Kanzlerin so ablenken und eunlullen lässt, dass ihr der Leitfaden derart markant abhanden kommen konnte.

     

    Vielleicht kann sie nicht mehr zurück. Man sollte sie mal im Vertrauen fragen, ob sie nicht auch denkt, dass da so einiges in ihrer Politik schief gelaufen ist. Die fatalen Auswirkungen ihrer alternativlosen Wirtschaftspolitik mit FDP-Ministern an ihrer Seite treten leider erst nach längerer Zeit verspätet zu Tage.

     

    Politischer Automatismus: Das hat für ihre Regierung wiederum den Vorteil, dass wenn sie sich gelegentlich von der SPD ablösen lässt, diese sich die unbequemen Reformlasten freudig auf ihre Schultern lädt. Dann wählt das Volk die empört nach Kurzem wiederum ab und die schwarzgelbe Koalition kann schmunzelnd die "Ernte" einfahren.

     

    Warum basteln die sich eigentlich aus diesen stets wiederkehrenden Phasen nicht endlich auch ein wirksames Wahlkampfthema und gehen endlich einmal das Problem strategisch an? Das Ganze ist so durchsichtig.

     

    Ich warte.............

  • S
    sarko

    Konjunkturprogramme , Herr Berger , sind nie etwas anderes als Strohfeuer gewesen , haben noch nie am Ende ein selbsttragendes Wachstum generiert . Nichts berechtigt zu der Annahme , es könnte neue Industrien geben , durch die hunderttausende Arbeitslose einen Arbeitsplatz finden würden . Und dann noch die Kleinigkeit : das Geld für Konjunkturprogramme müßte am Kapitalmarkt aufgenommen werden (...oder von der EZB gedruckt werden ) .

  • S
    Sukram71

    Sehr schöner Kommentar.

    Eigentlich müsste es ja auch dem Dümmsten einleuchten, dass es die Wirtschaft abwürgt, wenn man in der Wirtschaftskrise auch noch spart, also Steuern erhöht und Staatsausgaben senkt. Erst recht, wenn man jedes Jahr ein neues Sparprogramm auflegt.

     

    Und das tut es auch. Die Leute, also selbst Otto-Normal-Verbraucher, wissen das im Grunde, aber den Meisten ist im Zweifel das Hemd näher als der Rock.

     

    Ganz besonders dann, wenn Merkel und unsere (Un)Sinns-Experten sie auch noch laufend mit netten Scheinargumenten bedienen, die den eigenen Egoismus rechtfertigen.

    Also lieber nichts hinterfragen, wenn es doch so schön praktisch und scheinbar sowieso zu kompliziert ist.

  • K
    Kopfschmerz

    Beim Lesen dieses Unsinns bekommt man richtige Kopfschmerzen. Der Schmerz beginnt schon im 3. Satz:

     

    "Erst sorgt sie(Merkel) dafür, dass Millionen Menschen ihren Job verlieren,.."

    Bitte merken: Merkel ist schuld an der Arbeitslosigkeit in Südeuropa!

     

    Der Schmerz wird stärker:

    "Einen kausalen Zusammenhang zwischen den beiden Größen( Arbeitslosigkeit & Schulden) scheint es demnach nicht zu geben."

    Bitte merken: Für Schulden machen gibt es noch Luft!!

     

    Achtung, Kopfplatz Gefahr:

    "Der japanische Arbeitsmarkt wird in Vergleichsstudien als der am striktesten regulierte innerhalb der OECD bezeichnet."

    Japan ist ein hochtechnologie Land mit Exportüberschüssen. Also das was Griechenland und Co NICHT sind.

     

    Nach dem 3. Absatz habe ich aufgehört zu lesen.

     

    Ich geh erstmal zur Apotheke und hole mir was gegen diesen intellektuellen Schmerz den ich beim Lesen diese Unsinns bekommen habe

  • A
    anke

    "Billige Inszenierungen" sind zwar "das Letzte, was Europa in der Krise braucht", dafür aber das erste, was die Union benötigt, so knapp vor der nächsten Wahl.

     

    Wenn sie im Sinne der Regisseure "funktionieren", die "billigen Inszenierungen", ist das im Übrigen kein Wunder. Seit auch die Theater auf Teufel komm raus sparen müssen, ist selbst dem sich gebildet fühlende Publikum die aufwändige Aufführung etwas weitgehend Unbekanntes.

     

    Merke(l): Wenn die Lobbyisten der Wirtschaft die betriebswirtschaftlichen Ziele ihrer Unternehmen erst komplett gegen die volkswirtschaftlichen Gesamtüberlegungen der Regierung ausgetauscht haben, kann auch Frau Merkel ersatzlos eingespart werden. Bis dahin muss sie allerdings noch zusehen, dass sie sich für eine gut dotierte Stelle in der von jedem staatlichen Korrekturversuch freien West-Wirtschaft qualifiziert. Von Schröder lernen heißt in dem Sinn siegen lernen für die ehemalige FDJ-Sekretärin von der Union. Ulbricht wäre vermutlich stolz auf sein Mädel: Sie hat den Westen überholt ohne ihn jemals eingeholt zu haben. Das muss ihr erst mal jemand nachmachen.

  • D
    Domenq

    Welche Bedeutung haben Begriffe wie Demokratie, wirtschaftliche Freiheit, Kapitalismus, Grundrechte eigentlich noch in diesem Land?

     

    Besonders lustig ist der "Kampf gegen den Kapitalismus" - den es zwischen all den Kartellen, Versorgern und Oligopolen nur noch im billigen Friseursalon oder bei der Unzahl an "Spätkauf-Shops" gibt.

     

    Aber es ist natürlich besser, wenn sich die jungen Leute an irgend etwas abarbeiten, statt sich Gedanken über die Herrschaft eines ungewählten Apparates zu machen.