piwik no script img

EurokolumneRein oder raus?

Jens Berger
Kolumne
von Jens Berger

Europa bekommt seit fünf Jahren die Folgen der Finanzkrise nicht in den Griff. Die Diskussionen darüber sind allesamt vergiftet.

Doch lieber ohne? Bild: Images Money | CC-BY-SA 2.0

E igentlich ist es ja ungerecht, Markus Lanz für seine hochnotpeinliche Befragung der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht zu kritisieren. Letztlich hat der kleine Markus doch nur nachgemacht, was er in den großen Zeitungen und von der großen Politik aufgeschnappt hat: Kritiker der europäischen Politik werden als Antieuropäer gebrandmarkt, und wer es wagt, an der herrschenden Eurorettungspolitik zu zweifeln, will raus aus dem Euro. Vom vergifteten Diskussionsklima mit seinen Denkverboten profitieren am Ende jedoch nur die Rechtspopulisten.

Kann man ernsthaft für ein Europa sein, das seit fünf Jahren nicht die Folgen der Finanzkrise in den Griff bekommt? Für ein Europa, das die Jugend in einigen seiner Länder in der Massenarbeitslosigkeit verharren lässt? Ist ein Europa, in dem nicht die Menschen, sondern die Konzerne die Politik bestimmen, wirklich wünschenswert?

Wer all diese Fragen für populistisch oder gar ketzerisch hält, ist damit nicht nur ausreichend qualifiziert, um beim ZDF einen Boulevardtalk zu übernehmen, sondern auch nach herrschender Vorstellung ein guter Europäer. Gute Europäer stellen keine Fragen, vor allem keine kritischen. Im Umkehrschluss dürfen sich die Fragenden das Label „Europagegner“ auf die Stirn kleben.

Noch vergifteter ist das Diskussionsklima nur beim Thema Gemeinschaftswährung. Zwar konnte die Europäische Zentralbank den Flächenbrand einstweilen eindämmen, dennoch wird nicht einmal ein Jungunionist mit der rosarotesten aller rosaroten Brillen bezweifeln, dass die grundlegenden Probleme nur aufgeschoben wurden. Ohne die künstliche Finanzmarktbeatmung der EZB würden die Zinsen für europäische Staatsanleihen wieder zu alten Höchstwerten zurückkehren – nur dass die Gesamtverschuldung heute noch höher als zu Beginn der Eurokrise ist.

Rechtspopulisten profitieren

Und von den Handelsungleichgewichten, die zu den realwirtschaftlichen Auslösern der Eurokrise zählen, will ich hier gar nicht reden. Soll man davor die Augen schließen und das Denken durch den Glauben ersetzen? Dann wäre der Euro ein Glaubensbekenntnis: Ich glaube an die jungfräuliche Geburt, die heilige Dreifaltigkeit und die grundsolide Gemeinschaftswährung. Wer daran Zweifel hegt, ist ein Ketzer und gehört auf den Scheiterhaufen. Rein oder raus? Ich frage sie noch mal: Rein oder raus?

Einer der größten Fehler der Eliten war es stets, den gesunden Menschenverstand des Volkes zu unterschätzen. Der deutsche Minirentner ahnt genauso wie der arbeitslose spanische Jungakademiker, dass etwas faul im Staate Europa ist. Ein Europa, das den Menschen keine Hoffnung mehr geben kann, taugt nicht als ideologischer Kitt – schon gar nicht, wenn es auf ein bloßes Glaubensbekenntnis reduziert wird.

Wenn jeder Kritiker, Zweifler und Ketzer nun in die rechte Ecke geschoben wird, so kann dies dreierlei Reaktionen auslösen: Der kritische Geist kann diese Drohung ernst nehmen und ins Lager der Gläubigen zurückkehren, da er nicht im ewigen Fegefeuer des Rechtspopulismus schmoren will. Er kann die Drohung aber auch an sich abperlen lassen und weiterhin Kritik üben, ohne sich in irgendeine Schublade stecken zu lassen. Die Drohung könnte jedoch auch zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden – wenn meine Gedanken rechtspopulistisch sind, dann muss ich wohl auch eine rechtspopulistische Partei wählen, da diese ja ganz offensichtlich meine Interessen vertritt.

So ist zu vermuten, dass die Rechtspopulisten die eigentlichen Profiteure der nie ernsthaft geführten Debatten sind. Dann soll sich aber auch bitte niemand wundern, wenn diese Parteien bei den anstehenden Europawahlen die Gewinner sein werden. Wer kritisches Denken unterbinden will, stärkt damit meist diejenigen, die ohnehin ein gestörtes Verhältnis zum Nachdenken haben. Und dann könnte die Frage „rein oder raus?“ eine ganz neue Qualität bekommen. Wollen wir das wirklich?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Ein sehr gelungener Beitrag Herr Berger!

  • Dem rechten Populismus arbeitet es auch entgegen, wenn linke Europa-Kritiker allzu viel Selbstgefallen an ihrer Rolle als Zweifler und Ketzer finden aber wenig zukunftsweisende Vorschägen und Initiativen von ihnen zu lesen sind. Etwa in Richtung (auch ökologisch) vernünftiger Regionalentwicklungspläne, finanziert etwa mittels eines zu dem Zweck institutionierten Staatenfinanzausgleiches nach dem Vorbild des deutschen Länderfinanzausgleiches, mittels Ökosteuern und -zöllen usw.

    • @Hirschelmann Hans-Hermann:

      Ich als "Zweifler und Ketzer" gebe dem Positivdenker Hi-Ha-He zu bedenken , dass die Euro-Länder aus zwei Gründen mit noch so "vernünftigen" Konjunkturmaßnahmen mehr als zurückhaltend sind :

      1. weil alle bereits bis über die Halskrause verschuldet sind , und

      2. weil Konjunkturmaßnahmen allein noch nie zu einem selbsttragenden Wirtschaftsaufschwung geführt haben .

       

      (Seitenblick auf Deutschland : Was die Infrastruktur angeht , zB Straßennetz , lebt man von der Substanz . Warum wohl ? Nach ihrem Vorschlag könnte man doch einfach die Steuern erhöhen , oder ?)

  • L
    Leo

    Das liegt an erfolgreicher "trivialer Programmierung".

     

    Nicht nur der "Computer" ist letztlich ein Wesen, das nur binär aufgebaut ist. Wir auch: es gibt zunehmend kategorisch-alternativlose Entweder-Oder und das allgemeine Denkverobt ist weniger inhaltlich bestimmt als auf die schiere Differenzierungsfähigkeit gerichtet.

     

    Verlernt wird jedes Denken, das über ein Ja-nein hinausgeht. Jammerschade.

  • A
    Abzockermodell

    Die Verschuldung der EU-Staaten ist das Problem und daran ändert sich durch den Euro gar nichts. Bereits in den späten 70er Jahren haben wir Europäer den Amis gesagt, dass sie ihre Schulden in den Griff bekommen müssen, als die "Ölkrise" auch uns betraf. Verschwiegen wurde, dass unsere Politiker genau dienselbe Abzockerschiene fahren. Und abgezockt wird weiter: Schuldentilgung, Neuverschuldung, Banken, ARD, Deutschlandfunk, ZDF, Deutsche Bahn, Telekom, Gesundheitswesen (z.B. eGK), Politikergehälter, Straßenbau, Energie- und Wasserversorgung usw. Dafür müssen wir immer mehr zahlen. Jedes Abzockermodell wird ausgenutzt. Für den Rest werden immer mehr Schulden gemacht. Das Ausmaß expandiert exponentiell. Irgendwann muss das System zusammenbrechen; es geht überhaupt nicht anders.

  • S
    sd

    ja ja das alte rein raus spiel... meiner meinung nach will die politik diese angebliche krise auch nicht eindämmen, da ich denke das hier massiv versucht wird den euro-kurs zu drücken um die export erlöse nicht zu gefährden. in diesem zusammenhang wurde und wird auch die rechte in der ukraine so sehr unterstütz um den rußland freundlichen kurs zu unterbinden und einen weiteren märkt für europäische güter urbar zu machen. was die eu wahlen angeht haben schon immer die anti eu parteien gute ergebnisse erzielt...

    das denken sollte man sowieso den pferden überlassen, die haben einen größeren kopf ;)

  • A
    abyss

    "Vom vergifteten Diskussionsklima mit seinen Denkverboten profitieren am Ende jedoch nur die Rechtspopulisten. "

    Die Denkverbote zielen in Wirklichkeit auf das Siechtum des "Gottes" Kapitalismus , dessen "Außenhaut" Euro vom Krebs angefressen ist .

    Und was den voraussichtlichen Erfolg der Rechtspopulisten angeht , sollte man im Auge behalten , dass der moribunde Kapitalismus in einer Diktatur von Rechts einen Hoffnungsschimmer sehen würde . That is that .

  • G
    gast

    Es ist für die herrschende Klasse eben einfacher, ihre Kritiker als Antidemokraten zu brandmarken als die Wurzel allen Übels anzupacken. Am Wahlabend gibt man sich wieder betroffen und schimpft auf die Protestwähler. Den wirklichen Populismus findet man übrigens in den linientreuen Massenmedien mit ihrem rassistischen Stereotyp vom "Club Med", die damit die europäische Zwietracht stärker fördern als die Kasper vom rechten Rand.