Eugen Ruge im Arte-Porträt: Gigantische Ohrenschützer
Er hat den bestverkauften deutschen Roman des Jahres geschrieben, jetzt widmet Arte dem Schriftsteller Eugen Ruge einen Dokumentarfilm. Ohne ihn zu bejubeln.
Geschichten erzählen heißt Erfahrungen weitergeben - hat der Schriftsteller Eugen Ruge geantwortet, als er kürzlich sein Schreiben so knapp wie möglich auf den Punkt bringen sollte. Immerhin zwei sehr eindringliche Szenen findet das Filmporträt, das heute Abend auf Arte läuft, in denen tatsächlich etwas von der Erfahrung weitergegeben wird, die es gewesen sein muss, den Roman "In Zeiten des abnehmenden Lichts" zu schreiben.
In der einen Szene sieht man Eugen Ruge über Rügen joggen, allein inmitten der Rapsidylle. Auf Rügen hat er in einem geerbten Sommerhäuschen große Teile des Romans geschrieben, der dieses Jahr den Buchpreis gewann und gerade den Jahresumsatz des deutschen Buchhandels rettet. Episch erzählen, langen Atem haben - der Erzähler als Langstreckenläufer.
In der zweiten Szene ist man in dem Sommerhäuschen; unterm Dach hat sich Ruge seinen Schreibplatz eingerichtet, etwas zwischen Büro, Hobbyraum und Kommandozentrale. Dort sitzt der Autor vor dem Laptop, mit gigantischen gelben Ohrenschützern, die man sonst nur von Bauarbeitern kennt, die am Presslufthammer arbeiten.
Voller Selbstzweifel am letzten Kapitel
Ganz bei sich sein muss dieser Autor; kein Laut darf zwischen ihn und den Text kommen. Das Einzige, was an diesen Szenen stört, ist, dass sie so kurz sind. Man würde sich noch genauere Einblicke in den Schreibprozess wünschen. Von dessen Dramatik erahnt man dann nur noch einmal etwas, als Ruge voller Selbstzweifel am letzten Kapitel des Romans sitzt.
Der Berliner Filmemacher Arpad Bondy hat gleich doppelt großes Glück gehabt. Zum einen hat er diesen Film schon vor zwei Jahren begonnen, als noch niemand ahnen konnte, dass Eugen Ruge, der sich mit Mitte fünfzig daranmachte, seinen ersten Roman zu schreiben, einmal ein literarischer Star und Bestsellerautor werden würde, von dessen Debüt schon über 200.000 Exemplare verkauft wurden.
Zum anderen ist Eugen Ruge eine sympathische Hauptfigur. In dem Roman erzählt er die weitverzweigte Geschichte seiner Familie zwischen Mexiko, dem Ural und der DDR, zwischen Systemtreue und Dissidenz, von 1950 bis 2001. In dem Filmporträt führt er den Zuschauer zu einigen Schauplätzen, zur Kaserne, in der er bei den DDR-Grenztruppen diente, zu dem Haus, in dem das Arbeitszimmer seines unentwegt auf der Schreibmaschine tippenden Vaters lag. Biografische Hintergrundinformationen zum Roman also - Eugen Ruge präsentiert sie ohne jede Selbststilisierung.
Auf einer zweiten Ebene ist dies auch ein Film über das deutsche Buchgeschäft im Allgemeinen und den Rowohlt Verlag im Besonderen. Man sieht, dass Verlagschef Alexander Fest manchmal eine lustige Art hat, Zigaretten zu rauchen, erfährt vor allem aber auch, dass er als Verleger ein Zocker sein muss: Er hat sich früh mit einem bedeutenden Vorschuss auf Ruge festgelegt, das alles hätte auch wirklich schiefgehen können. Man sieht die Lektorin Katja Sämann, die Covergestalterin, man ist bei der Vertreterkonferenz dabei und begleitet eine Vertreterin bei Verkaufsgesprächen in Buchhandlungen. Ein Blick hinter die Kulissen des Buchmarkts.
Das ist alles interessant, hätte aber bei einem mehr zur Selbstdarstellung neigenden Autor leicht kippen können. Als gegen Ende des Films der Buchpreis kommt und die Vermarktungsmechanismen voll greifen, ist es vor allem wieder Eugen Ruge zu verdanken, dass das Porträt nicht zur Geschichte eines jubelnden Erfolgs wird. Noch im größten Trubel der Frankfurter Buchmesse kann dieser Autor bei sich bleiben. Als hätte er imaginäre Ohrenschützer auf, die man wahrscheinlich - auch so eine weitergegebene Erfahrung - ja wirklich braucht, um im lauten Buchgeschäft sein eigenes Buch zu schreiben.
"Eugen Ruge - Eine Familiengeschichte wird zum Bestseller", Mo. 5.12., 22.30 Uhr, Arte
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!