Ethnische Unruhen in Karachi: Talibanisierung ergreift ganz Pakistan
Nach schweren Kämpfen in Pakistans größter Stadt Karachi entsendet die Regierung Sondereinheiten. Paschtunen vom afghanischen Grenzgebiet sind in die Stadt gekommen
DELHI taz | Barrikaden in mehreren Stadtteilen, schwer bewaffnete Männer, die durch die Straßen patrouillieren und gezielt Gegner aufstöbern und töten: In Pakistans Finanzmetropole Karachi sind gewaltsame Zusammenstöße zwischen ethnischen Gruppen eskaliert. Mehr als 40 Menschen wurden seit dem Wochenende getötet.
Nun soll die Armee eine weitere Eskalation verhindern. Einheiten einer Paramilitärsondereinheit sind eingerückt und haben im gesamten Stadtgebiet Kontrollposten errichtet. Pakistans Regierung ist alarmiert. Seit Jahresbeginn sind in der Zwölfmillionenstadt schon mehr als 80 Menschen ums Leben gekommen. Innenminister Rehman Malik ist angereist und hat sich mit dem Gouverneur der Provinz Sindh getroffen.
Bei dem Konflikt in Karachi kämpfen Anhänger der MQM, Partei der "Mohajirs" genannten Nachkommen der bei Indiens Teilung 1947 aus dem heutigen Indien ins heutige Pakistan geflohenen Muslime, gegen Anhänger der Awami National Party (ANP), die Paschtunen aus dem Nordwesten Pakistans versammelt. Es ist ein Kampf um wirtschaftliche Dominanz. Lange hatten in Karachi die Mohajirs das Sagen, ihre MQM-Partei besitzt in der südlichen Provinz Sindh, in der die Stadt liegt, erheblichen Einfluss. Doch seit Pakistans Armee in den vergangenen zwei Jahren mehrere Großoffensiven gegen militante Gruppen im Nordwesten des Landes eingeleitet hat, sind tausende Paschtunen von dort nach Karachi gekommen und bereiten den lokalen Eliten im Handel und vor allem im Transportwesen starke Konkurrenz.
Ende vergangener Woche kam es Berichten zufolge zu Streit, nachdem die ANP ein Parteibüro im Arbeiterviertel Orangi eröffnen wollte. Anhänger der MQM gingen auf ANP-Vertreter los. Dabei und bei Racheakten in der folgenden Nacht wurden ein MQM-Politiker und ein Anhänger der ANP getötet. Die Polizei, die schwer bewaffnet und in großer Zahl in den betroffenen Stadtteil einmarschierte, konnte die Gewaltspirale nicht stoppen.
Der Gewaltausbruch erinnert an den Beginn der schweren Unruhen, die Karachi in den 90er-Jahren erschüttert hatten. Damals waren bei ähnlichen Zusammenstößen tausende Menschen ums Leben gekommen. 1992 marschierte die Armee in Karachi ein und ging gezielt gegen die MQM und eine Splitterpartei vor. Dabei starben erneut Hunderte von Menschen.
Die gegenwärtige Gewaltwelle hat aber noch einen übergeordneten, beunruhigenderen Aspekt. Denn Anhänger der MQM bezichtigen die paschtunischen Kriegsflüchtlinge aus dem Nordwesten der "Talibanisierung" Karachis. Tatsächlich gehen auch die Behörden davon aus, dass zahlreiche Militante aus den pakistanischen Taliban-Hochburgen Swat, Süd-Waziristan und dem Stammesgebiet Bajaur nach Karachi geflohen sind und ihre Agitation von dort aus fortsetzen. Auch Al-Qaida-Chef Ussama Bin Laden und Mullah Omar, der Anführer der afghanischen Taliban, werden inzwischen in Karachi vermutet.
Hierfür spricht die Zunahme der islamistischen Gewalt in den vergangenen Wochen. Während es in den letzten zwei Jahren vor allem im Nordwesten Pakistans und in der östlichen Provinz Punjab zu unzähligen Anschlägen auf Zivilisten und Sicherheitskräfte gekommen war, war die Lage in Karachi weitgehend ruhig geblieben. Doch Ende Dezember sprengte sich ein Selbstmordattentäter inmitten einer schiitischen Prozession in Karachi in die Luft und tötete mehr als 30 Menschen. Vor etwa einem Monat starben bei einer Explosion in einem von Paschtunen bewohnten Wohnhaus acht Menschen. Offenbar war ein dort gelagerter Sprengsatz versehentlich explodiert. Die Polizei stellte daraufhin Gewehre, Bomben und Sprengstoffgürtel sicher.
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