Esther Slevogt betrachtet das Treibenauf Berlins Bühnen:
Der Schauspieler Lars Eidinger ist der Peer Gynt des Instagram-Zeitalters, der sich immer wieder häutet und stets als eine neue Figur zutage tritt. Mal postet er Bilder von sich im Chanel-Outfit bei einer Fashionshow in Paris. Dann wieder lässt er sich in Berlin vor schäbigen Obdachlosenlagern ablichten. Oder mit einer selbstdesignten Tasche in der Hand, die dem Design der Alditüte nachempfunden ist und knapp 600 Euro kosten soll. Klar, dass dieser It-Boy des deutschen Theaterwesens, auf dem schwer der Anspruch lastet, eine moralische Anstalt zu sein, geballte Aggressionen auf sich zieht. Denn Widersprüche und Extravaganzen, also das, was dereinst die Künstler*innen zur Identifikationsfigur für das in seinem genormten Bürgerkorsett ächzenden Publikum machte, erregen immer stärker Anstoß. Aber wozu brauchen wir Künstler*innen überhaupt noch, wenn sie genauso langweilig sind wie alle anderen auch? In der Schaubühne schlüpft Lars Eidinger jetzt in die Rolle des echten „Peer Gynt“, jener berühmten Figur von Henrik Ibsen, die mit (Lügen)Geschichten der Realität zu entfliehen sucht. Ein Solo, das vom Aktionskünstler John Bock (der in Karlsruhe Bildhauerei unterrichtet) in Szene gesetzt wird (Schaubühne: „Peer Gynt“, Premiere 12.22., 20.30 Uhr).
Im HAU ist diese Woche eine Produktion zu sehen, die gerade zum Theatertreffen eingeladen wurde: Anta Helena Reckes Stück „Die Kränkungen der Menschheit“, das auf einen Aufsatz von Sigmund Freud zurückgeht. Darin hat er unter anderem die von Charles Darwin gemachte Entdeckung als Kränkung aufgelistet, dass der Mensch vom Affen abstammt. Die junge Regisseurin Anta Helena Recke nun führt in ihrer hochgelobten Bilderzyklus-Performance den gegenwärtigen Rollback Richtung Faschismus und einen immer aggressiveren Anspruch auf White Supremacy auf eine Kränkung zurück: die Kränkung des weißen Cis-Mannes, der sich von der Illusion nicht lösen kann, die Welt sei so wie er, nämlich männlich und weiß (HAU2: „Die Kränkungen der Menschheit“, 6. 2. 19 Uhr, 8.2. 17 Uhr, 20.30 Uhr, 9.2. 17 Uhr).
Im Radialsystem greift der Musiktheatermacher David Marton Ovids die Geschichte von „Narziss und Echo“ auf, die nicht zusammenfinden können. Die Nymphe Echo hat keine eigene Sprachen und Narziss ist verloren in der Betrachtung seines Spiegelbilds. Marton lässt Performer*innen, Sänger*innen, Musiker*innen und Schauspieler*innen in eine Suche nach Form und Erzählung eintauchen – mit improvisierter Live-Musik –, so die Ankündigung (Radialsystem: „Naziss und Echo“, 7.–9. 2., jeweils 20 Uhr).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen