piwik no script img

Essays von EnzensbergerTransparenz und Komplott

Hans Magnus Enzensberger rückt in seiner neuen Essaysammlung mal wieder die Welt ein bisschen zurecht – ohne fatalistischen Unterton.

Kapituliert trotz seines Universalwissens nicht: Hans Magnus Enzensberger. Bild: reuters

Der Feuilletonessay hat keinen allzu guten Ruf. Viel Bräsiges und Gespreiztes wurde in seinem Namen verbrochen. Dass es nicht so sein muss, zeigt immer wieder Hans Magnus Enzensberger. Kaum einer beherrscht es jedenfalls so perfekt wie er, über große Themen so elegant und leicht zu plaudern, sie mit großer Gelassenheit auf das Einfache zu reduzieren, dialektisch zu denken und dabei immer mit überraschenden Überlegungen aufzuwarten.

Der Essay als Form für mäandernde und abschweifende Gedanken, die auf Logik und Stringenz nicht verzichten, ist die Stärke Enzensbergers, und in seinen „Zwanzig Zehn-Minuten-Essays“, so der Titel seines neuen Buchs, stellt er diese Stärke wieder unter Beweis.

So liest man bei Enzensberger mal eine ganz andere Geschichte der Nationwerdung und nicht den 20. ideologischen Aufguss. Enzensberger bezeichnet seine Version mit routiniertem Understatement als eine „Fußnote“, „allerdings eine, die es in sich hat. Es kommt mir nämlich so vor, als wären die meisten der Nationen, die am East River in der Vollversammlung sitzen, von einer Handvoll stiller Gelehrter erfunden worden, und zwar innerhalb der letzten zweihundert Jahre.“

Seit dem Jahr 1800 herum trugen Gelehrte alles zusammen, was der „Volksmund“ so hergab, vor allem Märchen, Lieder und Sagen. Was zunächst nach einer harmlosen Beschäftigung aussah, war der Beginn eines „Völkerfrühlings“, ausgelöst durch die aufblühende Sprachwissenschaft und durch die Märchensammlungen der Brüder Grimm, die Weltbestseller wurden.

„Der Siegeszug der Philologen“

„Plötzlich wollte niemand mehr Randprovinz, Protektorat, Kolonie oder Anhängsel eines Imperiums sein. Alle sehnten sich danach, eine richtige Nation zu werden, souverän, unabhängig, mit allem, was dazugehört, eigener Flagge, eigener Hymne, eigener Amtssprache, eigenem König oder Präsidenten.“ Man weiß, wie „der Siegeszug der Philologen“ endete. Nämlich in zahlreichen Sezessionskriegen, Ausgrenzung, Hass und Ressentiment.

Und dennoch finden immer noch viel zu wenige, dass beispielsweise der jugoslawische Bürgerkrieg und die immense Zerstörung und die Opfer, die er gefordert hat, Argumente sind, besser die Finger von der Kleinstaaterei zu lassen, die vielmehr hoch im Kurs steht, dabei hat der Universalgelehrte Johann Gottfried Herder schon bei der Grundsteinlegung dieses Übels vor dem „Nationalwahn“ gewarnt und die Nation als „großen, ungejäteten Garten voll Kraut und Unkraut“ bezeichnet.

taz
sonntaz

Diesen und viele weitere spannende Texte lesen Sie in der sonntaz vom 26./27. Januar 2013. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz

Enzensberger zeigt in diesem Essay anschaulich, wie aus dem Fortschritt die Kräfte der Destruktion entstehen. Im Essay „Von den Tücken der Transparenz“ erzählt Enzensberger aufs Unterhaltsamste von der erstaunlichen Karriere der Verschwörungstheorie und wie deren Konjunktur in friedlicher Koexistenz mit der Forderung nach mehr Transparenz einhergeht, obwohl der gesunde Menschenverstand einem doch sagt, dass sich die beiden Dinge ausschließen.

Mutter aller Verschwörungstheorien

Die Mutter aller Verschwörungstheorien wurde in „Die Protokolle der Weisen von Zion“ niedergelegt. Der Erfolg dieses Buchs beruhte darauf, dass endlich der Schuldige an allen Übeln der Welt gefunden worden war: der Jude. Seither ist die Nachfrage nach Geheimnissen und Konspirationen „ins Unermeßliche gestiegen“, und ein Blick auf die Bestsellerlisten genügt, um zu sehen, dass die Komplotttitel sich großer Beliebtheit erfreuen. „Der Eifer, mit dem tagaus, tagein streng gehütete top secrets preisgegeben werden – das alles kündet von einem Geschäftsmodell, das eine historisch neue Stufe erreicht hat.“

Das heißt der Erfolg der Transparenz, selbst wo sie einen großen Coup landet wie im Beispiel von Wikileaks, bleibt bescheiden, und ein Witz wird sie spätestens dann, wenn die Piratenpartei sie sich auf die Fahnen schreibt und es damit in die Parlamente schafft, obwohl die Transparenz in den demokratischen Ländern längst gesiegt hat. „Damit ist dieses Projekt der Aufklärung verwirklicht – und zugleich ist es daran gescheitert, daß wir in einem trostlosen Sinn bereits bis zur Erschöpfung aufgeklärt sind.“

In diesen trostlosen Zeiten der überflüssigen Informationen, die uns überschwemmen, sind das vielleicht keine Gedanken, die nicht schon mal gedacht wurden, aber sie werden aus diesem ungewöhnlichen Blickwinkel nirgends so präzise und überzeugend dargelegt. Enzensbergers Gelassenheit beruht auf einem großen Wissensvorrat, mit dem er nicht angibt, der aber immer präsent ist, und von dem man profitiert, solange man sich eine gewisse Neugier bewahrt hat, die auch Enzensberger auszeichnet.

Als Essayist ist Enzensberger in Deutschland vielleicht der Beste, auch weil er sich weigert, zu formulieren, was bereits überall breitgetreten wurde, und weil er nicht glaubt, bei jeder Debatte mitmischen zu müssen. Das Erstaunliche dabei ist, dass er trotz seines Universalwissens angesichts der Verhältnisse nicht kapituliert, sein Schreiben keinen fatalistischen Unterton bekommt, dass er sich mit feinen ironischen und sarkastischen Seitenhieben zur Wehr setzt und sich immer wieder als der glänzende Stilist erweist, als den man ihn überall bewundert.

„Enzensbergers Panoptikum. Zwanzig Zehn-Minuten-Essays“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012, 139 S., 14 Euro

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

2 Kommentare

 / 
  • AR
    Antoninus R.

    Ja, es war immer sein heftiger Stil, der die sonst nicht lesende Meute aufwarf in ihr eigenes Unwissen.

    HME. für Politisches und Touristisches.

    Ach .. und Martin Walser für den Rest der Nichtleser von Romanen... Alles Stil-Wunderbarkeiten.

     

    Ich erinnere mich an HME.s SPIEGEL-Essay zum drohenden und dann ansagten Irak-Krieg. Der immer währende Krieg im nahen Osten hatte seinen Orlog.

    Aber Öl fließt immer.

  • A
    anke

    Wie bitte? Die "Transparenz [hat] in den demokratischen Ländern längst gesiegt"? Meine Güte! Da kann man mal sehen, wie sehr ein überall bewunderter Stil für eine korrekte Realitätswahrnehmung oder -beschreibung steht! Gar nicht. Aber vielleicht, Hoffnung ist ja immer, hat Klaus Bittermann einfach etwas falsch verstanden. Trotz des Stils. Gerade deswegen.

     

    Dass "der Eifer, mit dem tagaus, tagein streng gehütete top secrets preisgegeben werden" die eigentliche Idee der Aufklärer war, kann ich mir jedenfalls nicht vorstellen. Zumal besonders viel Eifer fast immer von besonders wenig Substanz kündet. Vermutlich ist es der Aufklärung ergangen wie der Nation. Schon Goethes Faust ahnte ja, dass jeder Fortschritt die Kräfte der Destruktion in sich trägt. Von Anfang an. So, wie jede Katastrophe den Kern von etwas Neuem, zunächst besserem birgt. Vielleicht ist genau das der Grund für das weltweite Revival der Religionen. Der von all den brillanten alten Männern "in einem trostlosen Sinn [...] bis zur Erschöpfung aufgeklärt[e]" Feuilleton-Leser hat das Gefühl, wer müsste spätestens morgen Abend um acht verrückt werden, wenn es bis da hin nicht gelingt, Gott und Teufel wieder ein ganz klein wenig sauberer von einander zu trennen.

     

    Hätte also Johann Gottfried Herder "schon bei der Grundsteinlegung [des] Übels" auch vor der Aufklärung warnen müssen? O ja, das hätte er. Aus eigenem inneren Antrieb heraus sogar. Und vermutlich hat er es sogar getan. Der Mann war immerhin Theologe. Sollte die Herder-Forschung den entsprechenden Beweis bisher noch geheim halten, wird sie ihn bestimmt in Kürze mit allem gebotenen Tamtam an Licht heben. Gott sei Dank hat ja seinerzeit kaum jemand gehört auf Herrn Herder. Und so kam es, dass wir alle miteinander nicht nur die schlimmen Folgen der Aufklärung erleiden mussten in den letzten 200 Jahren, sondern auch sehr lange sehr viele angenehme genießen konnten. Kraut und Unkraut eben. Nur weit und breit kein Sieger. So sind sie, die Gärten der Menschen.