Essayband von Mely Kiyak: Krise, für wen eigentlich?

Soll man lachen oder weinen? In kurzen Essays spitzt die Kolumnistin Mely Kiyak die Diskussionen um Migrationspolitik zu.

Zwei Frauen mit Koffern bei Nacht

Zwei Betroffene: Frauen auf der Flucht, Przemyśl, Polen am 1. März Foto: Dominika Zarzycka/imago

Gnadenlos ehrlich, zynisch – manchmal vielleicht etwas zu zynisch – und doch stets humorvoll beschäftigt sich die Kolumnistin Mely Kiyak in ihrem neuen Buch „Werden sie uns mit FlixBus deportieren?“ mit Fragen rund um die Geflüchteten- und Migrationspolitik.

Dabei ist es vor allem die Doppelmoral der Po­li­ti­ke­r*in­nen wie auch der großen Medienhäuser, die sie umzutreiben scheint: Angefangen von den „Flüchtlingen, die neuerdings Migranten heißen“, über die Migrantenliteratur als „unansehnliche, pummelige Cousine aus dem Zonenrandgebiet der echten deutschen Literatur“ bis hin zu sexuellen Übergriffen, die deutlich mehr Aufmerksamkeit bekommen, wenn sie von Ausländern verübt werden. Über all diese Themen und noch mehr echauffiert sich Kiyak in ihren kurzen Essays.

Obwohl sie das Buch weit vor Putins Angriff auf die Ukraine schrieb, lassen sich ihre Betrachtungen mit Blick auf die aktuelle Krise noch weiter zuspitzen. Wenn man diese Krise denn als solche bezeichnen will, denn auch das hat Kiyak in ihrem Buch sehr treffend erkannt: Für wen ist das eigentlich eine Krise? Ja wohl für die Geflüchteten und nicht für Europa.

Erinnert sich zufällig noch jemand an den ehemaligen Bürgermeister der nordrhein-westfälischen Stadt Schwerte, Heinrich Böckelühr, und seinen Plan, die 21 der Stadt zugeteilten Flüchtlinge in der KZ-Außenstelle Buchenwald unterzubringen? Er begründete das 2015 damit, dass „in Schwerte kein Nachholbedarf an Erinnerungskultur“ bestehe und die „menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen“ im Vordergrund stehe, die in der Einrichtung gegeben sei.

In ganz Deutschland besteht Nachholbedarf

Lässt man den Fakt außen vor, dass es damals strikte Ortszuweisungen für Geflüchtete gab, sie sich also nicht frei in Deutschland bewegen konnten – ganz zu schweigen von den nachfolgenden Strapazen beim Asylverfahren –, hätte im Jahr 2022 niemand daran gedacht, ukrainische Geflüchtete in einem ehemaligen KZ unterzubringen, denn das ist schlichtweg geschmacklos. Ganz nebenbei, Herr Böckelühr, besteht in ganz Deutschland noch immer Nachholbedarf in Sachen Aufarbeitung des Nationalsozialismus.

Mely Kiyak: „Werden sie uns mit FlixBus deportieren?“ Hanser Verlag, München 2022, 224 Seiten, 22 Euro

Mely Kiyak schreibt dazu: „Der Hammer für überschuldete und hilfsbedürftige Kommunen wäre natürlich die Mehrzwecknutzung der Leichenkeller in den Krankenhäusern. Da steht doch sicher das eine oder andere Kühlfach leer. Mit einer Wolldecke kann man das überleben. Wer sein Zuhause verloren hat, ist gewiss froh über ein Einzelbett.“ Sie bringt hier die Problematik in einer solchen Absurdität auf den Punkt, dass man beim Lesen nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll. Schließlich hat der Krieg in der Ukraine bewiesen, dass es anders geht.

Hunderttausende Ukrai­ne­r*in­nen sind inzwischen in Deutschland angekommen, viele von ihnen wurden in privaten Unterkünften aufgenommen sowie in Hotels und Kirchen. Auch wenn die zivilgesellschaftliche Hilfsbereitschaft um einiges höher scheint als bei den syrischen Geflüchteten 2015, so gab es ähnliche Bürgerinitiativen doch auch schon vor ein paar Jahren und genau das kritisiert Kiyak: „Irgendwann wird die Bürgerhilfe als selbstverständlich betrachtet. Im Hinblick auf kommende Flüchtlinge ist das fatal.“

Sind wir da jetzt angekommen, bei der fatalen Unterstützung seitens der Bürger*innen? Oder gelten für nicht-europäische Geflüchtete einfach andere Regeln und sie müssen sich eben mit der Unterstützung begnügen, die sie bekommen können?

Obwohl Kiyak ihre Gedanken zu diesen Missständen weitgehend gut verständlich und pointiert äußert, kommt doch hin und wieder die Frage auf, für wen sie eigentlich schreibt. Soll ihre Essaysammlung ein Weckruf für die deutsche Politik sein? Eine Aufforderung an die heteronormative, weiße Zivilbevölkerung vielleicht? Oder doch eine Art Hommage an die Betroffenen? Es bleibt unklar.

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