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Essay „Die letzte beste Hoffnung“Die vier Amerikas

George Packer beschreibt in „Die letzte beste Hoffnung“ die USA als mehrfach gespaltenen Staat. Sehnsucht nach Autorität gäbe es auf vielen Seiten.

Demonstranten bei Protesten in Portland nach dem Tod von George Floyd im Juli 2020 Foto: Amy Katz/imago

Ich bin Amerikaner. George Packer schreibt diesen Satz zweimal, ganz am Anfang seines Essays „Die letzte beste Hoffnung“ und noch einmal zum Schluss. Eigentlich trägt der Satz den Verweis auf die Exzeptionalität der USA, bei Packer klingt er wie ein vor lauter Wiederholung längst in eine stumme Geste überführtes Seufzen – ein postenttäuschtes, noch nicht ganz fatalistisches Ausatmen. Was soll er auch tun?

Packer ist in Deutschland zu Recht bekannt durch die verwobene Langreportage aus dem Band „Die Abwicklung“ (2014), in dem er die Auflösung der alten, noch vom New Deal geprägten Industrieordnung und ihre Überführung in postindustrielle Dienstleistungswirtschaft und Finanzkapitalismus begleitete. Er verfolgte den Aufstieg von Celebrity-Trash und Bling-Bling-Rap ebenso wie den von radikalen Geiferern in Parlamenten und privaten Medien. Abgeschmeckt mit Distinktionsgehabe von Selbstgezogenen-Radieschen-Köch*innen und Krisenblasen der Immobilienwirtschaft, destillierte Packer einen Blick auf den kulturellen und wirtschaftlichen Mainstream der USA, der vielleicht nicht zwingend, aber doch logisch zu Donald Trump führte.

In „Die letzte beste Hoffnung“ fragt er mit Introspektion und knappem theoretischen Rüstzeug, was Amerikaner denn im letzten Jahr der Amtszeit des 45. Präsidenten im Spiegel so sehen beziehungsweise gesehen haben. Erste Antwort: „Ein instabiles Land und politische Institutionen, deren Weiterleben infrage steht, ein Volk, das in einander bekriegende Fraktionen zerfällt und zu Gewalt neigt – die Art von Land also, deren Rettung wir stets für unsere Aufgabe hielten.“

George Packer ist Journalist und Schriftsteller, er hat aus Saigon und Bosnien berichtet, lange für den New Yorker geschrieben, über den letzten Irakkrieg und veröffentlichte zuletzt eine fabelhafte Biografie über Richard Holbrook als seltsam unordentliche, ungelenke Gestalt der liberalen US-Außenpolitik mit ihrem Eiertanz zwischen Menschenrechten, nationalem Interesse und persönlicher Eitelkeit. Packers Arbeiten kommen ohne akademischen Zierat aus, sie sind oft lebenssatt reflektierender Common Sense, dessen Unabhängigkeit sich auch gegen Selbstgerechtigkeiten im eigenen Lager der Linksliberalen wendet.

Selbstregierung als Ziel

„Die letzte beste Hoffnung“ gibt sich in einer weiten Rundumschau nicht mit den Ideen der demokratischen Sozialisten zufrieden (weil er den eher sozialdemokratischen Ansatz für utopistisch und vor allem im Auftreten für ziemlich kontraproduktiv hält), versucht andererseits auch die emotionale Landschaft der vielen Trump-Wähler*innen mit ihrem Rassismus und den Bigotterien durch Klassenzuschreibungen, Sozialgeschichte und eine Art Volksseelen-Psychologie zu verstehen. Sein durchaus humanistisch gedachtes, aber auch aus der Verfassung abgeleitetes Ziel: die Selbstregierung. Packer stellt sich die Frage, was dagegen arbeitet, wie man sie hinbekommen könnte. Der letzte Teil des Buchs klingt in etwa so realistisch wie demokratischer Sozialismus.

Das Buch

George Packer: „Die letzte beste Hoffnung. Zum Zustand der Vereinigten Staaten“. Aus dem Englischen von Elisabeth Liebl, Rowohlt Verlag, Hamburg 2021. 254 Seiten, 26 Euro

Den Großteil des Essays verbringt George Packer damit, vier grundlegende Strömungen, die die USA heute ausmachen, auseinanderzuklamüsern. Knapp zusammengefasst untergliedern sich für ihn die Lebens- und Kulturräume dort in vier Narrative: das Narrativ des „freien Amerikas“ als Residuum des Neoliberalismus, der „die Energie des ungehinderten individuellen Strebens“ feiere; des Weiteren in das Narrativ des „smarten Amerikas“ als Bill Clintons meritokratische Orientierung auf Intelligenz, Veränderung und die Kraft des Individuellen; ferner in ein „wahres Amerika“, das sich nicht nur mit einem Ort identifiziere und Grenzen schätze, sondern auch das Gefühl habe, dass es von einer faulen Unterschicht und einer parasitären Elite um die Früchte seiner Arbeit gebracht würde.

Zuletzt gebe es das „gerechte Amerika“, das sich gegen Leistungsgesellschaft und ohne geschichtliches Denken gegen objektive Realitäten wende. Identitätspolitisch aufgeladen rücke es die „Subjektivität in den Mittelpunkt der Analyse“ und verorte es zugleich in einem System von Unterdrückung – und fordere damit eine Auseinandersetzung mit dem, was andere vermeiden wollen.

Packer durchleuchtet diese Narrative, kritisiert politische Perspektiven, findet viel Partikularismus, Idiosynkrasien und aufs Dogmatische weisende Grundmuster. „Alle vier Narrative reagieren auf ganz konkrete Probleme. Jedem ist ein Wert eigen, den die anderen brauchen, und jedes entbehrt der Werte, die die anderen besitzen.“ Am Anfang stehen oft „Desillusionierung durch den liberalen Kapitalismus“, der zerrüttete Aufstiegstraum, das leere Versprechen von Gleichheit, aus denen nicht nur Identitätspolitik entstanden sei und die im progressiven, gut ausgebildeten Lager bei vielen jungen weißen Männern „eine neue autoritäre Sehnsucht“ ausgelöst hätten. Die Desillusionierung habe überhaupt den Ruf nach autoritärer Verteidigung eigener Ideen befördert.

Für den Essay wären an solchen Stellen soziologische Studien, ein genaueres Raster hilfreich – Packer belässt es bei Bemerkungen. Und die weisen stets stark auf das Ziel der Übung: Im Kern setzt Packer gegen die vier Amerikas eine Verteidigungsschrift für einen liberalen Kapitalismus plus Sozialstaat, unterfüttert von kommunalpolitisch aktiven Bürgern. Eine Art Arbeit am Mythos der Gemeinschaft. Aber, was soll er tun?

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