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Es zoomt nicht

Israel Horovitz' Monolog Drei Wochen nach dem Paradies: Eine Stimme aus New York City an den Kammerspielen  ■ Von Petra Schellen

Wer das Wort führt, hat die Macht. So steht's im Johannes-Evangelium. Oder, aktualisiert: Wer die Bilder schickt, erschafft die Realität. Und wer einen Sturm der (Fernseh-)Bilder entfacht: Ist der ein Ikonoklast? Rennt er wirklich gegen die Bilder an – oder gleitet er in ihrem Windschatten, um letztlich ans selbe Ziel zu kommen wie die aus der Gegenrichtung?

Man kann auch noch weiter gehen und allerlei Seglerregeln bemühen, um die Umwandlung von Glas und Stahl in Hysterie in Worte zu fassen, die der Anschlag auf das World Trade Center ausgelöst hat. Man könnte sogar behaupten, rein physikalisch betrachtet sei man jetzt wieder auf „Normal Null“ angekommen: Konstruktion und Destruktion heben einander auf.

Aber wie man es auch wendet, das Ereignis, das von seinen eigenen Bildern überholt wurde – beigekommen ist ihm niemand, weder aus der Nähe noch aus der Ferne. Andererseits fühlt man sich europäerseits verpflichtet, wenigstens eine Zeit lang nach den Wurzeln des plötzlich hereingebrochenen Bösen zu suchen.

Ein Phänomen, mit dem auch die Kunstszene nicht recht fertig wird: Weder die Ausstellung Deep Darkness – Über die Motivation, Böses zu tun im Altonaer Museum noch eilig geschriebene Traktate reichen an die Frage heran, ob der 11. September wirklich die befürchtete Negativ-Lebensqualität erzeugte oder ob all dies bloßes Hirngespinst ist.

Und dann gibt es da noch den Faktor Zeit, der manch kurzzeitig erlangte Präzision wieder vernebelt und die Entsetzenssekunde unbeeindruckt vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis schiebt, egal, wie stark man sich dagegen stemmt. Und der amerikanische Dramatiker Israel Horovitz hat sich kraftvoll gegen das Vergessen gesträubt in seinem Stück Drei Wochen nach dem Paradies, das jetzt an den Kammerspielen gegeben wird: Per Zoom will er wieder heranfahren an das Attentat, das er in New York erlebte – und schafft es nicht: Große Portionen persönlicher Betroffenheit legt der Autor seinen monologisierenden Protagonisten, gesprochen von Hans-Jörg Frey, in den Mund und spart nicht mit Betrachtungen über Ohnmachtsgefühle, USA-Politik und Mohammed Attas Konterfei. Doch es gelingt nicht, mehr als sekundenlanges Innehalten zu erzeugen: Zu wenig Neues liefert der Text, der aus aneinander gefügten, durch Pausen unterbrochenen Versatzstücken besteht. Wohl klingt gelegentlich eine das Anekdotische übersteigende Sicht der Dinge an – aber dies reicht selten weit: Mit den Worten „Es ist weg“ beginnt zum Beispiel viel versprechend der Text, und man hofft schon, jenes „es“ frei assoziierend definieren zu können. Aber – man erinnert sich – das geht ja nicht, hat sich Horovitz doch auf die Verarbeitung dieser Konkret-Katastrophe festgelegt, die, durch Worte ausgelaugt, nur noch lauwarm interessiert. Und Wortspiele wie „zu traurig, um nicht wahr zu sein“ sind zwar schlau und adrett – aber auch ein hilfloser Versuch, das müde gefräste Entsetzen in neue Verbalgewänder zu kleiden.

Leise autobiographisch klingt auch an, dass mit Gefährdung Aufgewachsene die post-septembrale Depression stärker empfinden; Pogrom-Erinnerungen aus der Familiengeschichte des Protagonisten werden wach. Doch auch dies wird gleich wieder zurückgenommen und mündet in die Überlegung, dass der Protagonist auch vor dem Attentat kein Sanguiniker war.

Abgegriffen wirken auch Sentenzen wie „Wir können niemandem in den Kopf kriechen“ oder, während der Angst um den vielleicht verschütteten Sohn, „Ein Kind darf nicht vor den Eltern sterben“. Wenig erhellend all dies – auch wenn solche Sätze die archaischen Strukturen zeigen, in die menschliches Hirn angesichts des Unverkraftbaren zurückgleitet. Doch letztlich bleibt das am 8. Dezember 2001 in Dresden uraufgeführte Stück ein unentschlossen aneinander gelegtes, oft vordergründiges Episodengewölk, dem Analyse ebenso wie überzeugende Bilder fehlen.

Andererseits – hat man als Europäer wirklich das Recht, sich über einen Text zu erheben, der der Empfindung eines Augenzeugen entsprang?

Premiere: Montag, 7. Januar, 20 Uhr. Weitere Vorstellungen: 11.+12. Januar, 23 Uhr, Kammerspiele

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