Es kriselt bei Twitter: Ärger um die Timeline
Kurz vor seinem 10. Geburtstag stagniert Twitter wirtschaftlich. Berichte über eine neue Sortierung lösen Protest aus. Chef Jack Dorsey versucht zu beruhigen.
Mitgründer und Chef Jack Dorsey versuchte in einer Serie von Tweets, die Gemüter zu beruhigen. „Wir haben nie geplant, die Timelines nächste Woche neu zu ordnen“, schrieb er. Zugleich wurde deutlich, dass es Änderungen geben wird – aber sie sollen behutsam ausfallen. „Wir lieben den Livestream. Das sind wir“, betonte Dorsey. Der Tweet-Stream werde „verfeinert“, damit er sich noch aktueller anfühle.
Der aufgeregte Ton der Debatte ist typisch für die Stimmung kurz vor dem zehnten Geburtstag des Kurznachrichtendienstes. Die Aktie steckt im Kurskeller, weil das Wachstum der Nutzerzahlen auf ein Tröpfeln gefallen ist. Im Januar nahm eine ganze Riege von Top-Managern den Hut. Und einer davon – Produktchef Kevin Weil – soll laut Medienberichten ausgerechnet zur Foto-Plattform Instagram des Rivalen Facebook gegangen sein. Der bekannte Technologie-Journalist Josh Topolsky, ein langjähriger Twitter-Fan, sieht den Dienst an Relevanz verlieren. Die Überschrift seines vielbeachteten Artikels beim renommierten Magazin New Yorker: „Das Ende von Twitter“.
In dieser Atmosphäre braucht Twitter-Mitgründer Dorsey, der im vergangenen Sommer zunächst kommissarisch und dann dauerhaft an die Firmenspitze zurückkehrte, schnell einen großen Wurf. Die bisherige Bilanz seiner Chef-Aktivitäten sind ein Stellenabbau, das zunächst nur in den USA verfügbare Angebot „Moments“, bei dem Tweets zu aktuellen Ereignissen zusammengefasst werden, sowie die Ankündigung, einen Verzicht auf die Tweet-Obergrenze von 140 Zeichen zu testen. Und bei den von Nutzern als „Favoriten“ markierten Tweets wurde das Symbol von einem gelben Stern auf ein rotes Herz geändert, was ebenfalls für viel Ärger in der Community sorgte.
Wenn Dorsey an diesem Mittwoch wieder nur Quartalszahlen präsentieren kann, die die Börsianer enttäuschen, könnte ein großer Produkt-Umbau eine willkommene Ablenkung sein. Zugleich schränkte Buzzfeed ein, man habe nicht in Erfahrung bringen können, ob die Änderung generell gelten solle, oder Nutzer die freie Auswahl bekämen. Das Tech-Blog The Verge und ein Social-Media-Experte des Senders NBC schrieben, man werde auf die Algorithmen-Sortierung auch verzichten können.
Viel Bedeutung, wenig Erlös
Seit Dorsey am 21. März 2006 testweise den allerersten Tweet verschickte, hat sich Twitter zu einer etablierten Möglichkeit entwickelt, den Puls der Welt zu spüren. Wenn irgendwo etwas passiert, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass dies einen am schnellsten über Twitter erreicht. Auch wenn sich bei dramatischen Entwicklungen wie den jüngsten Terror-Anschlägen in Paris frische Fakten mit falschen Informationen vermischen – Twitter ist so etwas wie das globale Nervensystem der News-Branche geworden. Das Problem: Allein damit kann ein Dienst kein Geld verdienen.
Die Lösung von Twitter ist, von Unternehmen bezahlte Tweets in den Nachrichtenstrom der Nutzer einzuschleusen – ähnlich wie das Facebook macht. Mit dem Versprechen, dass sie durch eine Fokussierung auf bestimmte Zielgruppen auch zu den Interessen der Nutzer passen. Das bringt mit zuletzt gut 300 Millionen Nutzern einen Umsatz von etwa zwei Milliarden Dollar pro Jahr. Aber Twitter steckt nach wie vor in den roten Zahlen fest – auch wenn der Dienst dank seiner Geldreserven noch jahrelange Verluste verkraften könnte.
Zum Vergleich: Facebook verbuchte zuletzt einen Quartalsgewinn von 1,56 Milliarden Dollar bei 5,84 Milliarden Dollar Umsatz. Bei den Nutzerzahlen hat das weltgrößte Online-Netzwerk mit seinen knapp 1,6 Milliarden Mitgliedern Twitter eh längst abgehängt. Es ist auch die Lernkurve, die Twitter bremst: Wer es sinnvoll nutzen will, muss erst Zeit und Energie in die Auswahl der Quellen investieren, denen man folgt. Die Versuche von Twitter, neuen Mitgliedern den Einstieg einfacher zu machen, lösten bisher keine Wachstumsschübe aus.
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