: „Es ist zum Heulen!“
■ Bücherhallenschließungen: Ein Förderverein kämpft für den weiteren Bestand der Kinder- und Jugendbücherei am Mittelweg
Ein Eichhörnchen turnt vor dem großen Fenster der Kinderbücherei im Gebüsch herum. Schön grün ist die Aussicht. Doch die Idylle ist bedroht, denn auch diese Bücherhalle in den Kellerräumen der Fremdsprachenschule am Mittelweg wird dem Sparstift zum Opfer fallen. Februar 1997 soll Schluß sein.
Marsi, Marya und Maryan beschweren sich, wie sie sich zwei oder drei Bücher die Woche (ihr durchschnittlicher Leseverbrauch) von ihrem Taschengeld leisten sollen. Almut Hick, die Bibliothekarin, kennt über 900 Kinder und Jugendliche im Umkreis und deren Lesegeschmack. Sie arbeitet schon 33 Jahre für die Stiftung Hamburger Öffentliche Bücherhallen (HÖB). Wenn ihr Domizil geschlossen wird, will sie in den Ruhestand gehen.
Doch noch ist es nicht soweit: Ein Förderverein mit 230 Mitgliedern versucht seit einem halben Jahr Sponsorengelder für eine finanziell gekürzte Betriebsvariante aufzutreiben, die eine Unterstützung der Bibliothekarinnen durch Ehrenamtliche vorsieht. Mit bislang geringem Erfolg. Einzig der Verein der Buchhandlungen reagierte, von den großen und kleinen Verlagen (Gruner & Jahr, Dressler oder Carlsen), die alle in der Gegend angesiedelt sind, kam keine Antwort. Dabei wird hier ihr Publikum der Zukunft geschult.
Der Misch-Vorschlag von Hauptberuflichen und Ehrenamtlichen stößt allerdings auch auf großen Widerstand bei der Leitung der HÖB. Zum einen muß der Verwaltungsrat unter Vorsitz der Kultursenatorin Christina Weiss am 15. November überhaupt erst einmal über die prinzipielle Zulässigkeit von ehrenamtlicher Mithilfe entscheiden. Zum anderen will die HÖB-Leitung eigentlich nur entweder Schulbüchereien mit Ausgabestellen oder Bücherhallen im klassischen Sinn anbieten.
Zum Vergleich: Die Bücherhalle Mittelweg bietet momentan 16.000 Bände in EDV-Erfassung, plus Videos und andere Medien an, eine Ausgabestelle oft nur 500. Und die Qualität der Beratung ginge bei der Ausgabestelle-Lösung den Bach runter.
Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, daß die HÖB dem Förderverein vorwirft, noch kein Sponsorengeld aufgetrieben zu haben, während dieser von der HÖB ein Konzept zum weiteren Betrieb verlangt, ohne das Sponsoren sich nicht überzeugen ließen.
Dabei ärgert sich die Direktorin der HÖB, Hella Schwemer-Martienßen, durchaus auch über die mangelnde Unterstützung durch reichere Gesellschaftsgruppen. Sogar die Behörden, die doch sozialdemokratischerweise die Bücherhallen fördern sollten, arbeiten völlig kontraproduktiv gegen die HÖB. So trudelten während der öffentlichen Debatte um die Schließung sogar noch Mieterhöhungen der Bezirksämter für die Standorte Mittelweg und Groß Borstel ein.
„Das Schlimmste ist,“ sagt Almut Hick, „daß die Leser durch das ganze Theater schon jetzt langsam den Rückzug antreten. Es ist zum Heulen.“ Die Schuld an der Misere liegt für sie eindeutig bei den Kulturpolitikern. Doch um vielleicht doch noch eine Lösung zu finden, müssen Politik und Förderverein aus der momentanen Konfrontation schleunigst herauskommen. Denn wie schon in der Konferenz der Tiere von Erich Kästner steht: Denkt an die Kinder!
Kerstin Kellermann
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