■ ORB-Plauderer Lutz Bertram ein IM?: „Es gibt Schlimmeres“
Brigitte M. (28, Studentin): Mich haben die Stasi-Vorwürfe überrascht, wobei diese sehr mysteriös sind. Viel Wind um nichts. In der Fernsehsendung des ORB am Samstag wurde Bertram ziemlich pauschal behandelt. Ich hab' Mitleid und doch kein Mitleid gehabt. Mir persönlich würde es nichts ausmachen, wenn Bertram trotz einer gewissen Doppelbödigkeit weiter moderiert. Wenn ich damals ein Angebot gekriegt hätte, einen Paß zu kriegen mit so einer Scheißtätigkeit, hätte ich es vielleicht sogar auch gemacht, wenn ich die Aussicht gehabt hätte, mein Augenlicht wiederzukriegen.
Mathias K. (34, Jugendarbeiter): Wenn die Vorwürfe stimmen, würde ich das schade finden, weil Bertram gut ist. Er hat so viele Politiker aus der Reserve gelockt wie kein anderer. Jetzt muß er versuchen, sich durchzusetzen, er steht ja dazu. Ich finde es zwar nicht so toll, daß er bei der Staatssicherheit war, aber das ist Schnee von gestern. Und wenn er keinem anderen geschadet hat, ist das okay.
Holger F. (24, Steuerfachgehilfe): Ich habe Bertram schon zu DDR-Zeiten gehört. Es ist schon frustrierend, daß er erst so spät damit rauskommt. Von mir aus könnte er weiter moderieren. Er hat eine tolle mystische Art. Es gibt schlimmere Leute. Wenn er Radiomoderation macht, tut er ja keinem besonders weh.
Harald P. (55, Kaufmann): Heutzutage ist schon jemand diskriminiert, wenn er Kartoffelschäler in der Stasi-Küche gewesen ist. Wenn Bertram sehr involviert war, kann er in einer so herausgehobenen Stellung nicht mehr arbeiten. Wenn er aufhört, geht ein Fluidum verloren. Auch nach der Nazizeit gab es viele qualitativ gute Leute, die aber so im Dreck gesessen haben, daß es gut war, daß sie ihren Stuhl nahmen.
Peter S. (24, Abiturient): Bertram ist ein einmaliger Moderator. Er schafft es, die Leute an ihrer schwachen Stelle aus der Reserve zu locken und auf diese Weise Dinge zu erfragen, die andere nicht herauskriegen würden. Wenn das, was rauskommt, nicht ganz arg ist, sollte er weitermachen. Jeder in der DDR in einer höheren Stellung hatte schließlich mit der Stasi zu tun.
Anja M. (29, Germanistin): Den Umgang finde ich interessant. Welcher andere Täter und welches andere Opfer hätte anderthalb Stunden Zeit erhalten, sich in einer Fernsehsendung zu erklären. Ich fand Bertram sprachlos, er ist viele Antworten schuldig geblieben. Er kann doch nicht vergessen haben, über wen er der Stasi berichtet hat. Ich bin enttäuscht, daß sich wieder einmal ein sogenannter souveräner Ostler als Stasi-Mitarbeiter entpuppt hat.
Helmut H. (47, Westberliner): Es ist doch komisch, daß ausgerechnet jene Journalisten, die sich in diesem System am meisten korrumpieren lassen und von einem Medium zum anderen taumeln, sich derart über den Verrat von Lutz Bertram aufregen. wahn/sev
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