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„Es geht nicht um den Transport allein“

Ende nächster Woche soll nach langer Zeit wieder ein Castor-Transport quer durch Niedersachsen rollen. Jochen Stay von der Anti-Atom-Organisation Ausgestrahlt erklärt, warum die Anti-Atom-Bewegung trotz des Endlager-Aus für Gorleben und der baldigen Abschaltung der letzten AKWs zum Protest mobilisiert

Castor-Transport 2011: Demons-trant*innen blockieren bei Hitzacker die Gleise Foto: Christian Charisius/dpa

Interview André Zuschlag

taz: Herr Stay, der Endlager-Zwischenbericht ist da, in zwei Jahren soll das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet werden. Da wirkt ein Anti-Atom-Protest wie aus der Zeit gefallen. Warum demonstrieren Sie dennoch gegen den anstehenden Castor-Transport?

Jochen Stay: Der Müll bleibt ja trotz der anstehenden Abschaltung. Und der Streit darüber, wie mit dem Müll umgegangen werden soll, wird uns noch sehr lange Zeit begleiten. Hier soll er jetzt quer durch Europa transportiert werden in eine Halle, die dafür gar nicht sicher genug ist. Auch die Gefahr beim Transport – Unfallgefahr, Terrorgefahr – wird in Kauf genommen. Und das nur, um ihn dann an einen Ort zu bringen, wo er auch nicht auf Dauer bleiben kann.

Aber die Castor-Behälter müssen doch zurückgenommen werden. Was stört sie daran?

Ich wehre mich auch vehement dagegen, wenn Atommüll aus Deutschland in andere Länder exportiert wird. Als die Castor-Behälter vor Jahren in die Plutoniumfabriken nach Sellafield oder ins französische La Hague transportiert wurden, haben wir auch dagegen protestiert. Mir ist klar: Der Müll muss zurück. Die Frage ist nur, wann und wie das geschehen soll. Ich glaube, es ist besser, erst dann zu transportieren, wenn auch klar ist, wo er endgültig bleiben soll. So muss er nicht zwei Mal transportiert werden. Denn das verdoppelt die Gefahr.

Es ist zu vermuten, dass in Großbritannien niemand Lust hat, den Müll aus Deutschland noch 25 Jahre bei sich liegen zu haben.

Das ist verständlich. Aber es gibt auch international unter den Anti-Atom-Gruppen eine gemeinsame Position: Weil die Transporte eine besonderes Risiko darstellen, sollte auf unnötige Wege verzichtet werden. Auch nach Gorleben sind Transporte in eine schlecht geschützte Zwischenlager-Halle gegangen – begleitet von massiven Protesten. Aber niemand dort fordert, dass dieser Müll da schnell weg soll. Der lagert nun zwar auch nicht sicher, aber ein weiterer Transport in eine Halle, die ebenso wenig geeignet ist, macht auch keinen Sinn. Und diese Sichtweise gibt es international auch.

Aber wäre es für die Anti-Atom-Bewegung nicht wichtiger, die Endlagersuche kritisch zu begleiten, statt Castor-Proteste zu organisieren?

Wir machen beides. Bei dem Castor-Transport geht es nicht um den Transport allein. Der Müll wird nach Biblis in ein Zwischenlager gebracht, das ein Riesenproblem darstellt. Gleichzeitig reden wir bei der Endlagersuche über eine Lagerung, die erst in ferner Zukunft beginnt. Die frühesten Pläne gehen vom Jahr 2050 aus, tatsächlich wird es wohl ein paar Jahrzehnte später. Das heißt: Wir brauchen noch für eine sehr lange Zeit Zwischenlösungen. Doch die Hallen zur Zwischenlagerung sind immer nur für 40 Jahre ausgelegt. Viele Genehmigungen laufen bald aus.

Es wird also zeitlich knapp?

Jochen Stay55, seit 2008 Sprecher von „Ausgestrahlt“. In der Anti-Atom-Bewegung ist er seit den Wackersdorf-Protesten 1985 aktiv.

Es wird nicht knapp, sondern der Plan wird verfehlt. Da ist eine Lücke: Die längste Genehmigung einer Zwischenlagerung gibt es bis zum Jahr 2047. Wir bekommen deshalb ein großes Atommüllproblem in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts. Beim anstehenden Protest geht es ganz stark darum: In Biblis gibt es keine Reparaturmöglichkeiten für defekte Castor-Behälter. Zudem sind diese Lagerhallen nicht sicher genug. Sie sind nicht geschützt gegen Flugzeugabstürze oder massiven Waffenbeschuss. Schon zwei Zwischenlager haben deswegen ihre Genehmigung verloren. Deshalb ist dieser Transport durch Niedersachsen bis nach Hessen so umstritten.

Manche Proteste gegen Castor-Transporte in den vergangenen Jahrzehnten sind in protestaffinen Milieus beinahe legendär. Schwingt beim anstehenden Protest gegen einen der letzten größeren Castor-Transporte auch ein wenig Folklore an frühere Kämpfe mit?

Nein. Ich glaube, das ist eine Außenwahrnehmung. Wir sind ja die ganze Zeit aktiv in Auseinandersetzungen um die Atomenergie, nicht nur zu Castor-Transporten, von der Endlager-Debatte bis zu den Risiken in einzelnen noch laufenden AKWs.

Als gar keine Zeit für nostalgische Rückblicke?

Nein. Es ist nicht so, dass wir seit dem letzten Castor-Transport nichts gemacht hätten und uns freuen würden, dass endlich mal wieder einer rollt. Wir können gut darauf verzichten, denn es gibt auch sonst genug zu tun.

Woher wissen Sie eigentlich, dass die Castor-Behälter im Hafen von Nordenham zum Weitertransport ankommen und dass das Anfang November geschehen soll?

Das ist immer ein Puzzlespiel. Da steht beispielsweise in einer Zeitschrift für Segelfliegen, dass in einem bestimmten Zeitraum der betreffende Luftraum gesperrt ist. Oder es wird angekündigt, dass eine der infrage kommenden Bahnstrecken wegen Bauarbeiten gesperrt werden soll, woraus sich auch Schlüsse ziehen lassen.

Leuchtkugeln erhellen die Szenerie beim Castor-Transport 2011 Foto: Marc Müller/dpa

Und je näher die vermutete Ankunft am Hafen rückt, desto eher stehen dort Aktivist*innen und schauen sich die ankommenden Schiffe an?

Zum Teil stehen dann wirklich Leute da. Aber das ist insgesamt ein großer Erfahrungsschatz, auf den man zugreifen kann.

Jetzt hat sogar die Polizeigewerkschaft gefordert, wegen der wieder steigenden Corona-Infektionsgefahr den Transport auszusetzen. Wollen Sie, falls er dennoch stattfindet, trotz allem protestieren?

Viele Aktionen in den vergangenen Wochen, etwa „Ende Gelände“, haben gezeigt, dass mit guten Hygienekonzepten Proteste verantwortungsvoll stattfinden können. Zu einer Großdemo würde ich derzeit trotzdem nicht aufrufen. Doch bei den Castor-Protesten wird es nicht so sein, dass viele Leute an einer Stelle protestieren, sondern dass kleine Gruppen an vielen Stellen Aktionen machen. Aber die Forderung der Gewerkschaft ist völlig berechtigt. Es ist von 6.000 Polizist*innen die Rede, die dann teilweise in Turnhallen übernachten müssten. Ich glaube, Herr Seehofer sollte sich das nochmal dringend überlegen und den Transport auch deshalb besser absagen.

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