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„Es gab Grund für Proteste“

Ex-Innenminister Gerhart Baum (FDP) über die 70er-Jahre-Debatte: Die Schlachten sind längst geschlagen. Auch FDPler wie Christian Klar gingen zur RAF

taz: Herr Baum, wie erklären sie sich die Aufregung über die Vergangenheit von Joschka Fischer und Jürgen Trittin?

Gerhart Baum: Ich glaube, dass zum einen bei einigen zur Zeit nicht eine nüchterne Erinnerung vorherrscht, sondern der tagespolitische Kampf. Man möchte mit Bruchstücken von Verhaltensweisen, die eigentlich in die damalige Zeit eingeordnet werden müssen, dem politischen Gegner schaden. Zum anderen geht es um den Versuch, die alten Schlachten von gestern zu führen, die aber überwunden sind.

Warum ereifert sich auch der FDP-Vorsitzende Gerhardt so?

Das kann ich mir überhaupt nicht erklären. Seine Unterscheidung zwischen friedlichen 68ern und gewalttätigen 70ern kann ich nicht nachvollziehen. In beiden Phasen gab es beides. Gerhardt sollte sich lieber an Hans-Dietrich Genscher orientieren, der gesagt hat, dass Fischer ein Beispiel für die Integrationskraft unserer Gesellschaft ist. Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, die die glaubwürdige Veränderung eines Menschen nicht respektiert. Das gilt auch für den politischen Gegner.

Angela Merkel hat gefordert, die Grünen sollten sich mit einem „Unvereinbarkeitsbeschluss“ gegenüber Gewalt „läutern“. Was halten Sie davon?

Ich bin nicht dieser Meinung. Es ist keine Frage, dass man jeden, auch jede politische Gruppe, daraufhin beobachten sollte, ob Gewalt akzeptiert oder gar gefördert wird. Aber das, was die Union teilweise da veranstaltet, ist genau das Denken in Feindbildern, dem auch das unsägliche Fahndungsplakat mit dem Bild Schröders entsprungen ist. Ich rate Angela Merkel, sich ein Beispiel an der liberalen, versöhnlichen Position Heiner Geißlers zu nehmen, der überzeugend dargelegt hat, dass sich die Gesellschaft über einen Saulus freut, der zum Paulus geworden ist.

Politiker aus Union und FDP betonen, in den 70ern habe es keinen Grund für Proteste gegeben. Ist das auch Ihre Sicht?

Es ist bemerkenswert, wie aus der Union heute die Politik der sozialliberalen Koalition gelobt wird. Damals wurden wir verdächtigt, mit der neuen Ostpolitik die Freiheit unseres Landes aufs Spiel zu setzen. Sicherlich gab es Grund für Proteste. Nehmen Sie nur den „Radikalenerlass“ von 1972, der Teile der jungen Generation pauschal verdächtigt hat, gegen diesen Staat zu sein. Ich habe dann 1978 die Regelanfrage beim Verfassungsschutz vor der Einstellung in den öffentlichen Dienst abgeschafft, und die Länder haben es nachvollzogen. Auch einzelne FDP-Mitglieder sind damals vom parlamentarischen Pfad abgekommen.

Gab es in Ihrer Partei eine Diskussion darüber, was etwa Ihr Mitglied Christian Klar in die RAF getrieben hat?

Natürlich, wir haben uns intensiv mit den Ursachen der Gewalt und mit den Möglichkeiten ihrer Überwindung auseinander gesetzt. Wir waren der Meinung, wir dürfen das nicht Polizei und Justiz allein überlassen. Zum Terrorismus gab es sehr sorgfältige Analysen und sehr selbstkritische Analysen: Wie ist es eigentlich zur Gewalt gekommen? Was hat die Gesellschaft falsch gemacht? Ohne damit Mord zu rechtfertigen. Zu den Konsequenzen, die wir daraus zogen, gehörte, dass wir versuchten, wieder ins Gespräch mit den Ausgestiegenen zu kommen und ihnen die Reformfähigkeit des parlamentarischen Systems vor Augen zu führen. Das war ein ganz wichtiger Ausgangspunkt zur Befriedung der Gesellschaft.

INTERVIEW: PASCAL BEUCKER

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