piwik no script img

■ NachschlagEs begann in Eberswalde. Ein Film von Gitta Nickel im Zeughauskino

Nachschlag

Es begann in Eberswalde. Ein Film von Gitta Nickel im Zeughauskino

Borgelt und Dengler – früher unterschied sie nicht viel. Beide sind Jahrgang 1914, wuchsen in Eberswalde auf, gingen zusammen zur Schule, studierten Publizistik und brachen in den 30er Jahren zu einer gemeinsamen Balkanreise mit dem Motorrad auf. Heute ist Prof. Dr. Gerhard Dengler ein gebrochener Mann, Dr. Hans Borgelt dagegen strahlt in jugendlicher Frische. So zumindest erscheint es in dem Film, den Gitta Nickel 1995 für den ORB drehte und der am Mittwoch im Zeughauskino im Begleitprogramm zur Ausstellung „Parteiauftrag: Ein neues Deutschland“ zu sehen war.

„Dir ist ja etwas erspart geblieben“, sagt Dengler einmal. „Du hast nicht vier, sondern nur drei Staatszusammenbrüche mitgemacht.“ Dengler lebte als Journalist in der DDR, war erster Bonner Korrespondent des Neuen Deutschlands, später Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung. Borgelt arbeitete unter anderem in West- Berlin lange Jahre als Pressechef der Internationalen Filmfestspiele. 45 Jahre haben sie nichts voneinander gehört. Jetzt haben sie sich wiedergetroffen, um sich gegenseitig ihr Leben zu erzählen. Aber es erzählt vor allem einer: Borgelt. Er strotzt nur so vor Selbstbewußtsein und Stolz auf die Taten seines Lebens.

Wie anders Gerhard Dengler: Mit Borgelt zusammen vor der Kamera traut er sich kaum, den Blick zu heben, nickt nur verschämt, versucht kleine, affirmative Kommentare, mit denen er nie durchdringt. An ihm kann man nachfühlen, was es heißt, plötzlich ohne erzählbares, öffentlich gutgeheißenes Leben dazustehen. Nur allein, im heimischen Plüschsessel wird er einigermaßen sicher und erzählt, wie das damals war, als er vor Stalingrad kapitulierte, mit seiner bürgerlichen Existenz für immer brach und dem Nationalkomitee Freies Deutschland beitrat. Nach dem Film dann treten die beiden Protagonisten selbst vor das Publikum, und man erlebt einen völlig veränderten Gerhard Dengler. Selbstsicher plaudert er daher, läßt Altfreund Borgelt kaum zu Wort kommen, und als man ihn fragt, wie das denn möglich sei, sagt er, das habe alles dieser Film gemacht und daß man ihm zugehört hat und jemand sein Leben als interessant und hörenswert empfand. Volker Weidermann

Vorschlag

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen