Erzählungen von Mary Miller: Das Gefühlsding
Mary Miller erzählt in „Always Happy Hour“ von weiblichen Enttäuschungen. Sie beweist dabei Klassenbewusstsein bis in die popkulturellen Zeichen hinein.

These: Vielleicht ist Mary Miller, Texanerin, Anfang 40, so etwas wie die frühere Judith Hermann der USA. Sie hat ein feines Gespür für die diskursiven Schwingungen, die sie im banalen Alltag einfacher Amerikanerinnen (und Amerikaner) ausmachen kann; sie hat es mit einem Roman probiert, ist aber merklich auf der Kurzstrecke zu Hause und dort nahezu unschlagbar; sie ist die Repräsentantin einer Generation, die – hier beginnen die feinen Unterschiede – unterhalb der Mitte steht, also eher „White Trash“ ist als akademisches Prekariat, und von der alten New Yorker Intelligenzija ist Miller so weit entfernt wie, sagen wir, Judith Hermann vom Nobelpreis für Literatur.
Obwohl, man weiß ja nie. „Always Happy Hour“ heißt etwas platt Millers neues Buch. Es heißt allerdings schon im Original so (die Übersetzung von Stefanie Jacobs ist wie gewohnt nahezu fehlerfrei) und ist bereits 2017 erschienen.
Die Geschichten ähneln in der Grundstruktur denen, die Miller schon in ihrem ersten Band „Big World“ gesammelt hatte: Geschichten aus dem einfachen Leben junger Frauen aus der amerikanischen Provinz – und ihrer Probleme mit sich selbst samt den dazugehörigen Männern. „Always Happy Hour“ verfolgt dabei ein Konzept: Es sind Beziehungsgeschichten, Geschichten über Freunde und Ex-Freunde, und als solches ist das Buch auch explizit den Ex-Freunden der Autorin gewidmet.
In Gedanken die Studenten verführen
Mary Miller: „Always Happy Hour“. Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs. Hanser Berlin, Berlin 2021. 192 Seiten, 22 Euro
Wobei man annehmen darf, dass die enthaltenen elf Geschichten eher Fallbeispiele sind als eins zu eins aus dem Leben der Autorin gegriffen. Einzig „Eins nach dem Anderen“ ist eine autofiktionale Geschichte und vielleicht auch deswegen die stärkste. Hier erzählt Miller von ihrer Stipendiatinnenstelle an irgendeiner südstaatlichen Provinzuni; sie erzählt, wie sie in Gedanken ihre Studenten verführt, während ihr „Freund“ weit weg ist, und sie erzählt, wie sie mit der Langstrecke, also dem Roman hadert.
„Das Haus liegt hinter einem großen Tor, auf vierzig hügeligen Hektar Land. Meine Freundin Leslie sagt, das Grundstück sei früher mal ein Cherokee-Friedhof gewesen; ein Mann, der mit mir ins Bett will, behauptet, hier im Wald würde der Geist von Geeshie Wiley herumspuken.“
In anderen Geschichten geht es oft um Kinder, um die Kinder der anderen, meist der Männer, mit denen die Erzählerinnen zusammen sind. Und immer geht es um Frauen, die nicht unbedingt zur Mittelschicht gehören, und Miller beweist bis in die popkulturellen Zeichen und Produkte hinein durchgehend Klassenbewusstsein. Ohne allerdings in die Analyse zu gehen – oder irgendwelche Exit-Optionen zu fantasieren.
Insofern ist „Always Happy Hour“ sehr amerikanisch: Es ist gut erzählt. Es hält sich dicht an die Realität. Es hat ein Sensorium für Gefühle. Es ist kurz gehalten und verzichtet auf Überbau, Ausblick, Experiment. Manchmal ist das schade.
Noch mehr Trailer im Trailerpark
Auch dass Miller bei aller Entwicklung hier und da zu Wiederholungen neigt – oder dass man, wenn man „Big World“ gelesen hat, erst einmal aufstöhnt, wenn wieder von Männern aus kleinkriminellen Milieus erzählt wird oder noch einmal ein Trailer in einem Trailerpark der Ausgangspunkt einer Geschichte ist.
„Ich habe ihr erzählt, dass meine Brüder früher immer Waschbären gejagt, aber nicht gegessen, sondern an Schwarze verschenkt haben. Sie meinte, das wäre rassistisch, dabei ist es doch bloß die Wahrheit, das haben sie wirklich gemacht, und ich weiß echt nicht, was daran rassistisch sein soll. Vielleicht hätte ich einfach den Mund halten und nichts davon erzählen sollen.“
Auch die weibliche Enttäuschung, die in den Protagonistinnen lauert, durch sie durchscheint, wird hier und da fragwürdig: Ja, glauben sie denn wirklich alle noch an die große Liebe? Scheint hinter der großen Illusion gar nichts auf, zum Beispiel eine Alternative zu bisherigen Liebeskonzepten? Auch die Kinder der anderen lassen sich auf die Kinderlosigkeit der Erzählerinnen beziehen: Ja und?, ist man manchmal geneigt zu fragen.
Das sind die Probleme, die auf so tolle Autorinnen wie Nicole Flattery, Elizabeth Ellen oder eben Mary Miller warten (Sally Rooney ist ein etwas anderer Fall): Sie müssen raus aus ihren Zonen, um neues Material zu gewinnen. Sie müssen nach oben. Oder noch tiefer. Aber tiefer geht kaum, das gilt zumindest für Mary Miller.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!