Erzählung „Irische Passagiere“ von Richard Ford: Passagen zwischen zwei Leben
US-Schriftsteller Richard Ford bringt neue Erzählungen heraus. Darin weigern sich Menschen, von einem Lebensabschnitt zum nächsten zu gehen.
Ein mittelalter Mann mit irischen Wurzeln trifft zufällig eine Liebe aus Studienzeiten wieder. Die beiden gehen spazieren und reden und verabschieden sich dann wieder. Ein anderer Mann lebt gerade in Paris, weil ihm zu Hause, in Amerika, alles „um die Ohren geflogen“ ist – und geht eines Abends mit einer spektakulären französischen Galeristin aus. Sie trinken in einer Bar, treffen einen irischen Kollegen.
Bevor es aber zur Frage kommt, wo sie die Nacht verbringen, wird er heftig von einem Besoffenen verprügelt. Ein dritter Mann kommt in New York beim Erwerb eines prachtvollen Lofts mit einer Maklerin zusammen. Bald werden sie sich wieder trennen.
Die Lektüre der neuen Kurzgeschichten von Richard Ford, die unter dem Titel „Irische Passagiere“ erschienen sind, gestaltet sich zunächst wie die Betrachtung eines kniffligen Suchbilds. Immer wieder bleibt der Blick beim Offensichtlichen hängen, bei der irischen Herkunft einer der Haupt- oder auch nur der Nebenfiguren – als verbindendes Element aber gibt diese Oberfläche nichts her, wirkt gar aufgesetzt.
Erst bei der dritten oder gar vierten Geschichte beginnt man zu begreifen: Der große amerikanische Autor Richard Ford wäre nicht Richard Ford, wenn es ihm bloß um die Erzählung von verschiedenen Menschen mit sogenannten „irischen Wurzeln“ ginge. Viel weiter kommt man mit dem Wort „Passagiere“ im Titel. Fords Männer, die übrigens alle gut betucht bis stinkreich sind, haben allesamt etwas Wichtiges verloren. Sie sind auf der Überfahrt.
Der erhellende Zustand des Dazwischen
Und von diesem erhellenden Zustand des Dazwischen erzählt Richard Ford wie üblich zurückhaltend, nebenbei und dennoch genau. Einen Augenblick lang sind diese nicht immer netten Helden in der Lage zu erkennen, wie austauschbar doch alles ist.
Richard Ford: „Irische Passagiere“. Aus dem Englischen von Frank Heibert. Hanser Berlin, Berlin 2020, 288 Seiten, 22 Euro
Die Geschichte, bei der dies am deutlichsten zum Ausdruck kommt, ist die längste, die Kerngeschichte, wie sie in vielen Erzählbänden üblich ist, aus der vielleicht, wie manche professionellen Leser denken mögen, am ehesten ein Roman hätte werden können. Sie heißt „Im Lauf deines Lebens“ und handelt von einem Peter Boyce, dessen Frau Mae zum zweiten Mal Krebs bekommt und sich daraufhin das Leben nimmt. Mae war Klavierlehrerin, eine „erbärmliche Hausfrau“, nicht „ganz so anmutig“, wie der Witwer sich gern erinnert, aber von Anfang an „schlauer, als er je sein würde“.
Irgendwas in Boyce weigert sich stur, zum nächsten Lebensabschnitt überzugehen, weshalb er sich in jenem Ferienort ein Haus mietet, in dem er mit Mae immer Urlaub machte. Sein Kopf fährt Karussell. Irgendwann kommt er dann in sehr wenigen, trockenen Sätzen zum Gravitationszentrum aller Geschichten in „Irische Passagiere“.
Das Leben – ein Katalog
„Etwas geschieht und scheint das ganze Leben zu verändern“, so Boyce. „Und dann raspelt sich alles zum erträglichen Maß zurecht, manchmal ein bisschen besser.“ Und etwas später: „So, dachte er, würde jetzt das ganze Leben sein, vielleicht noch lange: ein Katalog. Das und dann das und dann das und dann das.“
Und plötzlich fallen sie einem wieder ein, all die Sätze, die auch schon die Männer in den anderen Geschichten gesagt haben. Dem Mann mit der Frau, die in Island bleibt, ist zum Beispiel die Trennung egal, auch wenn er sie hätte heiraten können. Der Mann in Paris denkt, dass es keine Rolle mehr spielt, wo man gerade ist.
Die Fragen, die Ford stellt, sind oft gestellt worden: Warum eigentlich haben wir uns ausgerechnet das Leben ausgesucht, das wir leben – und kein anderes? Und wie gibt man dem zweiten Leben Sinn, wenn das erste zerbrochen ist? Und trotzdem. Auf mysteriöse Wiese kommt das alles daher, als wäre es noch nie erzählt worden.
Wahrscheinlich liegt es daran, dass Ford seinen Helden nicht erlaubt, am neuen Ort anzukommen. Es ist, als ob er ihre Passagen ziemlich genießt – und mit ihm die Männer, die er beschreibt, die eigentlich hier zu einem viel sympathischeren Ich finden. So, als würde er ihnen zurufen: „Such dir keine zweite Frau, kauf dir kein zweites Haus!“ Und: „Bleib doch noch etwas, hier auf der Passage, wo es gerade so schön schwankt und schaukelt!“
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