■ Neue Wunder: Die Bahn gibt sich kundenorientiert!: Erstklassige Probefahrt
Ich gestehe: Ich bin Bahnkunde. Mit BahnCard. Die läuft jetzt aus. Und ich überlege: Für das nächste Jahr eine BahnCard First? Um mehr Ruhe zu haben und Platz zum Arbeiten. Um andere (interessantere?) Leute kennenzulernen. Nur: Wie ist die erste Klasse eigentlich so? Lohnt sich der Unterschied? Eine erste spontane wie schüchterne Inspektion der Räumlichkeiten wird vom diensthabenden IC- Schaffner unter Androhung eines erheblich erhöhten Beförderungsentgeltes ratzeputz abgewürgt. Raus!
Zweiter Versuch, einige Tage später: Mein Gegenüber, ein Bahnbeamter aus altem Schrot und Korn, schiebt seine Dienstmütze zurecht: „Wieso?“ Ich erkläre, langsam zum Mitverstehen, mein Anliegen noch einmal: Wenn ich von Ente auf Benz umsteige, darf ich mir den Wagen auch ansehen, testen, herumbrausen stundenlang. „Herr Schaffner“, sage ich freundlich, aber bestimmt, „ich möchte also bis Dortmund in der ersten Klasse probefahren.“ Augenblickliche Stille im ganzen Abteil, als wollte ich den Zug mit Waffengewalt entführen und das gesamte Schaffnerwesen zur Geisel nehmen.
Und, insistiere ich, will nicht die Bahn, jüngst zur AG geworden wie jede Autofirma, jetzt kundenorientiert sein, leistungsstark, marktwirtschaftlich und dem Straßenverkehr ganz offensiv Konkurrenz machen? Das versucht sie doch mit dürren Worten stets dick zu unterstreichen, Herr Schaffner! „Nein, also..., aber probefahren, haha!..., das ist ja... Also...“ Ich solle mich an Frankfurt wenden, sagt er, an die Direktion. Sein Tonfall verrät indes, wie abstrus er mein Anliegen findet. Und bei ihm sowieso: „Nein, unmöglich!“
Ich gebe zu: Anderes hatte ich auch nicht erwartet. Das Schaffnerwesen als solches ist nicht über Nacht revolutionierbar. Alle Bahnreisenden sind zwar (Geschäfts-) Kunden, werden aber weiterhin angeblafft, als sei jeder ein potentieller Schwarzfahrer: „Die Fahrausweise!!!“ Und die neuerdings scheinbar freundlicheren Lautsprecher-Durchsagen seit dem 1.1. wirken nur noch deutlicher: „Sehr verehrte Fahrgäste! Hauen Sie bloß ab aus unserem Bistro-Wagen, Sie machen ja nur Arbeit. Bringen Sie doch eigene Stullen mit und Kaffee aus Thermosflaschen. Unser Service ist eh eine Frechheit. Kapiert?“ etc. etc.
Letzter Versuch, ganz ungeplant, als im Interregio eine junge Schaffnerin ganz freundlich und gar mit einem „Guten Morgen“ zur Kartenansicht erschien. Verblüffend! Ich wiederhole meine stringente 1.-Klasse-Argumentationskette um Probefahrterlaubnis. Sie lacht. So was hätte sie ja noch nie gehört. Nein, das gehe „eigentlich nicht, wirklich“. – „Heißt ,eigentlich‘: Bitte sehr, ja, nehmen Sie doch Platz?“ – Sie zögert, stutzt, grinst, dann das grüne Signal: „Ja.“ Ohne jedes „eigentlich“. Bahnbrechend!
Schön war die Fahrt. Leerer, schallisolierter, Holz statt Plastik, topbequeme Sitze. Die nette Schaffnerin, die sich auf Nachfrage als erstaunlich junge Zugchefin (23) herausstellt, kommt noch ein paarmal vorbei, um sich fürsorglich nach dem Wohlbefinden zu erkundigen. Kaffee vielleicht? Großartig!
Na also, Bahn! Es geht doch. Und der Berichterstatter fährt, das sei verraten, fürderhin First. Die Probefahrtpatin heißt übrigens Andrea Mihelcic, Dienstbahnhof Kassel. Sie gehört befördert! Umgehend! Aufstieg zur Zugchefin im ICE-Dienst! Oder schickt sie in Euren Eurocitys zu attraktiven Auslandseinsätzen Richtung Wien, Mailand, Paris. Herausragende Kräfte dürfen nicht im Regionalverkehr verkümmern. Und die ganze alte Schaffnermischpoke – ab aufs Abstellgleis. In den Proberuhestand. Bernd Müllender
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