Erster Schultag in der Testschlange: Wer ist hier eigentlich das Schaf?
Vor dem Coronatest beschallt jemand die Wartenden mit Verschwörungsmythen. Ein kleines Lob an die, die so etwas trotzdem auf sich nehmen.
E igentlich habe ich keine Zeit, um diese Kolumne zu schreiben. Eigentlich müsste meine Frau in der Schule sein, Tochter zwei in der Kita. Und eigentlich hätte Tochter eins heute ihren ersten Schultag. Aber: Eigentlich sind sie erkältet. Am Wochenende ging es los. Husten, Schnupfen. Ganz normal. Nur halt jetzt gerade nicht. Und so steh ich hier am Montagmorgen um viertel vor neun mit meinen Kindern und 50 anderen Menschen und blockiere Straße und Gehweg, um am Fenster einer Arztpraxis auf Corona getestet zu werden. Die Ersten kommen schon vorbei, gucken nur entsetzt und drehen wieder ab. Bald gibt es weiter hinten Streit um die Plätze.
Wie soll das erst laufen, wenn es nicht mehr 20 Grad am Morgen sind und es womöglich viel mehr abzuklärende Fälle gibt? Und dann beschallt auch noch irgendjemand aus dem vierten Stock des gegenüberliegenden Hauses die Wartenden mit Verschwörungsmythen zu Covid-19: Alles Lüge, das Virus ist total ungefährlich, Mainstream-Presse, Corona-Regime.
Alles schon hundertmal gehört. Alles schon tausendmal widerlegt. Und es hat nie Zoom gemacht. Und während die Sonne langsam ein bisschen brennt und ich immer noch warte, frage ich mich: Wer ist hier eigentlich das Schaf? Wer macht es sich leicht? Die, die hier unten stehen, das Virus ernst nehmen und gleichzeitig die langweiligste Beschallung der Welt über sich ergehen lassen müssen?
Es bricht mir das Herz, dass meine Tochter, die sich so sehr darauf gefreut hat, heute nicht in die Schule gehen kann. Sie wollte so gerne neue Freundinnen und Freunde kennenlernen. Tja, heute nicht. Und morgen auch nicht.
Es kostet Kraft
Es kostet Kraft, zwei Kinder bei gut 30 Grad zu Hause zu betreuen. Es tut meiner Frau und mir leid, dass wir nicht voll arbeiten können an diesen Tagen. Hätten wir einfach die Klappe gehalten. Hätten wir die Kinder einfach in der Schule und der Kita abgegeben und wären zur Arbeit gefahren – niemand hätte nachgefragt. Es wäre so leicht gewesen, das eigene Interesse über das Allgemeinwohl zu stellen. Deswegen – und wegen der starken Fokussierung auf die, die zetern und brüllen – an dieser Stelle mal ein kleines unbedeutendes Lob an all jene, die vieles auf sich nehmen, um die Verbreitung des Virus, Schul- und Kitaschließungen und neue strenge Kontaktbeschränkungen zu verhindern.
Es ist manchmal schwer. Ich weiß es. Deshalb: Danke! Und wo ich eingangs schon beim Thema keine Zeit haben war: Zukünftig werde ich wieder ein bisschen mehr davon haben. Dies war – nach fünf Jahren – die letzte „Nach Geburt“-Kolumne. Und bevor mir hier das Mikro abgedreht wird, möchte ich mich bei meinen Töchtern und meiner Frau bedanken (die sind wirklich sehr gut) und mich von Ihnen, liebe Leser*innen, verabschieden – mit den wärmsten Abschiedsworten, die ich in Husum gelernt habe:
Jo, tschüss denn, nä!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
FDP stellt Wahlkampf Kampagne vor
Lindner ist das Gesicht des fulminanten Scheiterns
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen
Katja Wolf über die Brombeer-Koalition
„Ich musste mich nicht gegen Sahra Wagenknecht durchsetzen“
Scholz zu Besuch bei Ford
Gas geben für den Wahlkampf
Türkei und Israel nach Assad-Sturz
Begehrlichkeiten von Norden und Süden