Erster Mai: Polizeipräsident abgeführt
Nach den Flaschenwürfen auf Dieter Glietsch verteidigt der seinen Auftritt beim 1. Mai. Er habe nicht damit gerechnet, erkannt zu werden. Die Innenverwaltung freut sich, dass es sonst weitgehend friedlich war.
Am Rande des Myfestes sind Donnerstag Nacht zwei Redakteure der taz von Polizisten geschlagen und verletzt worden. Der Leiter der taz-Berlin-Redaktion, Gereon Asmuth, und sein Kollege Bert Schulz standen gegen 23.50 Uhr an der Skalitzer Straße Ecke Manteuffelstraße, um die weitgehend abgeklungenen Scharmützel unter der Hochbahn zu beobachten. Von dort zog in Zweierreihen ein Polizeitrupp in Kampfmontur mit der Rückennummer "11 12" inRichtung Manteuffelstraße. Dort kam es zu einer Rangelei mit einem anscheinend angetrunkenen Passanten, der sein Bier in Richtung einiger Polizisten schüttetete und an den taz-
Redakteuren vorbei flüchtete. Daraufhin schlug zunächst ein heranstürmender Beamter Bert Schulz, der nicht mehr zur Seite springen konnte, vor den Kopf. Schulz wurde bis vor eine mehrere Meter zurückliegende Hauswand getrieben und dort nach eigenen Angaben erneut von einem Polizisten geschlagen und bedroht. Anschließend blutete er aus der Nase, auch seine Lippe war geschwollen. Gereon Asmuth, der sich nach seinem Kollegen umdrehte, wurde unterdessen von einem anderen Beamten seitlich auf den Kopf geschlagen. Anschließend verschwand der Polizeitrupp binnen Sekunden im Getümmel. Die beiden Redakteure kündigten an, Anzeige wegen Körperverletzung im Amt zu stellen. Asmuth und Schulz gehen
davon aus, dass sich der Vorfall leicht klären lasse, da er unmittelbar unter einem Polizeischeinwerfer geschah und die Szenerie ständig von Beamten mit Videokameras dokumentiert wurde.
Nach den Flaschenwürfen auf den Polizeipräsidenten Dieter Glietsch beim 1. Mai wies dieser den Vorwurf zurück, er selbst habe durch seine Anwesenheit zur Eskalation beigetragen. "Ich musste nicht damit rechnen, erkannt zu werden", sagte Glietsch am Freitag bei einer Pressekonferenz. Mehrere Fotografen hätten ihn umringt. Erst durch das Blitzlichtgewitter seien "die Chaoten" auf ihn aufmerksam geworden. "Seit sechs Jahren war ich bei jedem 1. Mai. Das war das erste unerfreuliche Erlebnis."
Bis in den Abend hinein hatten die Kreuzberger den 1. Mai so friedlich gefeiert wie lange nicht. Um kurz vor 21 Uhr erreichte der Zug der zweiten "Revolutionären 1. Mai-Demonstration" den Lausitzer Platz. Dort stand Glietsch und wurde fotografiert. Als die Demonstranten bemerkten, wen sie vor sich hatten, flogen Flaschen. Personenschützer sprühten CS-Gas in die Menge. Sie fassten Glietsch unter und zerrten ihn zu einer zufällig in der Nähe stehenden Polizeiwanne. Steine und ein Fahrrad landeten auf dem Wagen. Der Polizeipräsident entkam unverletzt.
Innensenator Ehrhart Körting (SPD) nahm Glietsch in Schutz. "Ich halte es für richtig, dass die Verantwortlichen sich vor Ort ein Bild von der Situation machen, um über die Angemessenheit von Maßnahmen sprechen zu können." Diese Ansicht teilt auch der innenpolitische Sprecher der CDU, Frank Henkel. Glietsch hätte aber auf seine Polizeiführer hören sollen, die zuvor bereits vor der aggressiven Stimmung gewarnt hatten.
Auch Benedikt Lux (Grüne) meinte: "Glietsch stand ein bisschen zu nah am schwarzen Block." Seine Empfehlung: Im nächsten Jahr möge sich der Polizeipräsident selbst einen schwarzen Kapuzenpulli überziehen.
Auf die Flucht von Glietsch folgten am Donnerstagabend weitere kleinere Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Zwei Altglascontainer auf der Skalitzer Straße wurden umgekippt. Am Görlitzer Bahnhof flogen mehrfach Flaschen. Gegen Mitternacht beruhigte sich die Lage.
Trotz der Zwischenfälle zog die Innenverwaltung insgesamt eine positive Bilanz. "Wir konnten den Trend der vergangenen Jahre fortsetzen - weg von den Straßenschlachten, hin zu einem friedlichen 1. Mai", sagte Körting. Das Konzept der "ausgestreckten Hand" sei erneut aufgegangen. Glietsch ergänzte: "Die Randale am Rand hat das Fest nicht geprägt."
Die Antifaschistische Linke beurteilt den Ablauf des Abends kritischer. "Die Auseinandersetzungen waren im Vergleich zu den letzten Jahren härter", sagte Sebastian Lorenz. Nach den Attacken auf Glietsch habe es mehrere rabiate Festnahmen gegeben. Aufgrund "massiver Polizeigewalt" sei die Demonstration später abgebrochen worden.
Auch vom Republikanischen Anwaltsverein (RAV) kommt Kritik. Drei Anwälte seien in der Nacht bei einer Gefangenensammelstelle gewesen, um Festgenommene zu vertreten. Sie hätten teilweise nicht mal mit ihnen sprechen dürfen. Sönke Hilbrans sagte: "Dass viele keinen Rechtsschutz erhalten haben, erinnert an die katastrophalen Zustände von Heiligendamm."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!