piwik no script img

Erst spritzig, dann trocken

■ Kapitänin, Dichter und blinder Steuermann: Mathias Zschokkes »Brut« im Hebbel-Theater/ Piraten als gescheiterte Existenzen

Eine Horde Piraten dümpelt in den Sümpfen der Karibik dahin. Da Piraten auch nur Menschen sind, bleiben neben der Langeweile und der Nervenbelastung nur die Liebe in der Theorie und der Mord in der Praxis als Zeitvertreib.

Das Stück von Mathias Zschokke (den viele noch durch sein Stück Elefanten können nicht in die Luft springen, weil sie zu dick sind, 1986, kennen) ist ein Versuch, jenseits von Schatzinsel und Freibeuter der Meere die Thematik der Piraten zu verarbeiten. Er tut dies auf eine unpathetische, den Mythos der Piraten fast schon zerstörende Art: Seine Freibeuter sind von Anfang bis Ende allesamt gescheiterte Existenzen.

Der Abend beginnt mit der Musik von Rainer Rubbert, die an eine Mischung aus Bártok und Weill erinnert. Im Bühnenbild von Maren Christensen, das nur einen Teil des Schiffes darstellt (Steuerrad, Kombüse und Gangway), konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf Kapitänin Nunez (hervorragend gespielt von Monica Bleibtreu), die erst seit kurzem die Möglichkeit der Artikulation beherrscht und so akribisch darauf bedacht ist, jedem Wort seinen gültigen Wert zukommen zu lassen, wobei ihr Temperament das manchmal gar nicht zuläßt. Ihr zur Lösegeldeintreibung gefangener Dichter (Martin Pawlowski) soll erst einmal im Käfig gemästet werden (Seeräubersitte). Doch als der Matrose Sascha Selkirk (Andrea Bürgin als die Frau im Manne) Zuneigung für den Poeten bekundet, wird dieser aus Eifersucht von Frau Kapitän erledigt. Da ihre Liebe zu Selkirk unbeantwortet bleibt, übergibt sie freiwillig das Kommando an den Offizier Hallwax (Peter Brombacher), der generelle Schwierigkeiten mit der richtigen Position von Subjekt, Prädikat und Objekt hat. Er begrüßt die unverhoffte Macht und schlägt etwas unsicher erst einmal Entern (Piratenhobby) vor. Dazu kommt Kapitänin Nunez in den Käfig und wird von dem Koch Caflisch (Josef Bilous) gespeist, der den Trottel vom Dienst spielt. Da die Piraten auch musikalisch sind, gibt es nebenbei ein paar kleine Musikeinlagen.

Der blinde Steuermann Azor (sehr gut: Dietmar Mues) fährt natürlich dauernd im Kreis und nachdem sein Gehilfe Kogge (Konstantin Graudus) der ungekrönte König der Kasper zu sein scheint, bleibt die Navigation an Glaser (Dieter Laser als Highlight des Abends) hängen. Er spricht alle Betonungen so, als hätte er sein bisheriges Leben als Wilder im Wald verbracht und erinnert auch sonst stark an Kaspar Hauser.

Obwohl Selkirk dauernd schreit und depressiv vor sich hintränt, verliebt sich Glaser doch in sie. Doch das muß warten, denn erst wird geentert. Das Opfer ist die Fürstin Etmal (von A-Z fehlbesetzt durch Ingrid Kaiser), und sie muß auch in den Käfig. Auf rätselhafte Weise findet sie darin allerdings den Tod, und Selkirk kann nun Glaser erklären, daß sie (er) eine Frau ist, ihn aber nicht liebt. Und um das zu unterstreichen, hängt sie sich (nachdem sie von Hose zu Kleid gewechselt hat) auf.

Die fröhlichen Freibeuter sind nun restlos fertig, mit sich und dem Leben. Also segeln sie dahin im Wahnsinn, nicht zurück zur Sehnsucht, sondern vorwärts zur See.

Die Schauspieler unter der Regie des Autors zeigten nach Anlaufschwierigkeiten viel Spielfreude, doch die bis zur Pause erzeugte Spannung konnte danach nicht mehr gehalten werden. So wirkte der Text — obwohl gut geschrieben — zu lang.

Einzig die Technik des Hebbel- Theaters konnte pausenübergreifend durch Pannen und Mißverständnisse unterhalten. Doch das meist jugendliche Publikum im nur halbgefüllten Haus feierte gebührend diese Aufführung. Autor und Schauspieler hatten es gleichermaßen verdient. York Reich

Weitere Aufführungen: vom 12. bis 14. Oktober, jeweils 20 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen