: Erst saubere Energie, dann Gift
Die Kumpel der deutsch-sowjetischen Wismut schürften Erz für Atombomben und AKW. Die Sanierung des Bergwerks kostet etwa 13 Milliarden Mark ■ Aus Dresden Nick Reimer
Die Flutung der tiefsten Bergbausohle Europas begann 1990 im Erzgebirge. Bis dahin hatten Kumpel des Bergwerkunternehmens Wismut im 1.800 Meter tiefen Bergwerk in der Nähe des sächsischen Schlema uranhaltiges Erz geschürft. Dann änderten sich die Zeiten, der Arbeitsplatz war nicht mehr „Kampfplatz für den Frieden“. Die Pumpen wurden abgeschaltet. Das ist nicht ungefährlich: Denn wohin wandert jetzt die radonbelastete Grubenabluft? Das Edelgas Radon gilt immerhin als der Stoff, der hauptsächlich den Lungenkrebs bei den Kumpel und bei Anwohnern auslöst, auch Schneeberger Krankheit genannt. Und welche Schadstoffe lösen sich im ständig steigenden Wasser?
„Die Hinterlassenschaften des Uranbergbaus gehören zu den größten und schwierigsten Altlasten in den neuen Bundesländern“, meinte der damalige Wirtschaftsminister Günter Rexrodt. Nicht nur das: Das Beseitigen der strahlenden Gefahr zählt auch zu einem der kostspieligsten Vorhaben in den neuen Ländern. 13 Milliarden Mark – so veranschlagten Experten – sind auf einen Zeitraum von fünfzehn Jahren verteilt nötig, um die Bergbaufolgen zu sanieren. Insgesamt 37 Quadratkilometer kontaminierter Fläche müssen behandelt werden – unter der Erdoberfläche genauso wie darüber.
Da sind zum Beispiel die ebenfalls im Erzgebirge gelegenen Erz-Aufbereitungsanlagen in Crossen oder Seelingstädt. Nicht die verstrahlten Anlagen, sondern die riesigen Absatzbecken sind hier das Problem – über 700 Hektar große Schlammteiche, die Millionen Kubikmeter toxisch belastete Schlämme bergen. Oder anderthalb Quadratkilometer Bergbauhalden, die saniert werden müssen.
Die ständige Entwässerung der riesigen Bergwerke bringt Uran, seine Zerfallsprodukte und giftige Stoffe – etwa Arsen – in die Gewässer. Als Ende 1994 die Schlemaer Grube bis auf eine Tiefe von 900 Metern mit Wasser vollgelaufen war, drückte die steigende Flut allein zehn Millionen Kubikmeter belastete Grubenluft in die Atmosphäre. Immer wieder musste das Luftabzugssystem verändert werden, um die radonhaltige Grubenluft abzuleiten.
Mit welchem Aufwand hier einst dem Bombenrohstoff Uran hinterhergejagt wurde, verdeutlichen nackte Zahlen. Die Bergleute trieben allein in der Schlemaer Grube 4.200 Kilometer Weg in den Fels – etwa so lang wie Ostdeutschlands Autobahnnetz – und schufen so einen untertägigen Hohlraum von etwa 38 Millionen Kubikmeter. Wesentlich erschwert wurde der Bergbau wegen der Tiefe des Gesteins, das bis zu 65 Grad warm war. Allein der Energieverbrauch der Grube erreichte die Dimension einer mittleren Stadt.
Reichlich viel Aufwand für den sozialistischen Frieden: In einer Tonne Erz waren im Durchschnitt lediglich 0,1 Masseprozent Uran enthalten, also ein Kilogramm. Der Technik gelang es, 90 Prozent davon auszulaugen, blieben noch 900 Gramm. Der Anteil des einzig spaltfähigen und damit nutzbaren Isotops Uran 235 daran lag aber nur bei 0,7 – macht sechs Gramm pro Tonne Erz.
Insgesamt – so errechneten Historiker – förderte die Wismut in ihrer 45jährigen Geschichte 1,2 Milliarden Tonnen Gestein – ein kleines Gebirge. Davon blieben 1.200 Kilo Uran 235 übrig, mit dem die DDR zum atomaren Gleichgewicht – oder zum Verschieben desselben – beitrug.
Im letzten Jahr hatte das Wasser unter Schlema 60 Prozent des Schachtes geflutet. Spätestens im Jahr 2000 wird es bis auf die 60 Meter tiefe Sohle angestiegen sein. Die Bergleute haben herausgefunden, dass es beim Steigen aus den warmen Tiefen Arsen, Radon, Sulfate und Uran löst. Derzeit läuft eine Wasseraufbereitungsanlage im Probebetrieb, um die Schadstoffkonzentration soweit zu drücken, dass das dann austretende Wasser in die Zwickauer Mulde abgeleitet werden kann.
„Im Wesentlichen werden die Sanierungsarbeiten nach 2010 abgeschlossen sein“, sagt Wismut-Sprecher Werner Runge. Bislang wurden knapp sechs Milliarden Mark ausgegeben. Dem Steuerzahler stehen also noch einige Milliarden bevor.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen