: „Erst die Synagogen, dann die Kirchen“
Über 100 Menschen haben sich am Freitag abend vor der Synagoge in der kleinen Lübecker St. Annen-Straße versammelt, um eine Mahnwache vor dem durch einen Brandanschlag geschädigten Gotteshaus abzuhalten. Stumm stehen sie in der kleinen Gasse mit den roten Ziegelbauten im Regen. Ein Polizeibus versperrt den Eingang zur Synagoge, an dem viele Kränze und Blumen liegen.
„Ich möchte nicht angesprochen werden“, wehrt sich eine ältere Frau gegen den Ansturm der Journalisten mehrerer Fernsehsender. „Ich will hier ganz still stehen und nichts sagen.“ Die Mitglieder der umliegenden Kirchengemeinden und des Antirassistischen Bündnis Lübeck wollen die Mahnwache nach Möglichkeit bis zum Ende des jüdischen Pessachfestes durchhalten, mit dem die Juden der Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten gedenken.
„Meine Kollegin wohnt hier“, sagt ein vor dem Haus auf- und abgehender Flüchtling aus Schwarzafrika. „Ich bin heute morgen aus dem Bett gesprungen, um zu sehen, ob ihr nichts passiert ist.“ Ein türkischer Anwohner, der seit 27 Jahren in unmittelbarer Nachbarschaft der Synagoge lebt, sagt stellvertretend für viele: „Wir haben Angst um die Menschen.“
„Wir wollen keine Gewalt, wir schämen uns, daß in unserer Stadt so etwas passieren konnte“: Mit diesen Worten demonstrierten bereits am Vormittag Hunderte von Schülern vor der Synagoge ihre Solidarität und ihr Mitgefühl mit der jüdischen Gemeinde. Der feige Brandanschlag in der Nacht zu Freitag auf die Synagoge „macht unseren Ruf kaputt. Wir wollen deutlich machen, der Welt, aber auch den feigen Tätern, daß sie keine Mehrheit haben.“ Mit Handzetteln warben sie um Spenden für die Reparatur des durch den Brand beschädigten Gotteshauses.
„Wir Christen können nicht schweigen wie 1938“, so Pastorin Ingrid Homann: „Wir bekunden unsere Solidarität mit der jüdischen Gemeinde. Wir stehen an ihrer Seite und sagen: Wenn Synagogen brennen, brennen auch die Kirchen.“ „Es ist nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn das Feuer nicht rechtzeitig entdeckt worden wäre“, kommentierte eine Anwohnerin die Schreckensnacht.
Bürgerschaft und Senat der Hansestadt haben die Bürger Lübecks aufgerufen, ihre Solidarität mit den jüdischen Mitbürgern durch eine Unterschrift in ein Buch zu bekunden, das seit Freitag mittag im Rathaus ausliegt. Es enthält die Worte: „Mit Entsetzen und Abscheu verurteilen wir den feigen Brandanschlag auf die Lübecker Synagoge, bekunden Solidarität und Mitgefühl mit den Mitgliedern der jüdischen Gemeinde und bekennen uns zu ihnen als unsere Mitbürger.“
Herdis Lüke/Paula Roosen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen