: Ersatzteillager für Menschen
Vor zwanzig Jahren, genauer am 3.Dezember 1967, setzte der südafrikanische Arzt Christiaan Barnard dem 55jährigen Louis Washkansky das Herz des 25jährigen bei einem Unfall gestorbenen Denise Darvall ein. Washkansky starb 18 Tage später an einer Lungenentzündung. Nicht etwa der Tod des Patienten oder der Ehrgeiz des Arztes beschäftigte die Medien weltweit, sondern der Eingriff in die menschliche Identität: Lebte Darvall in Washkansky weiter? Wurde seine Seele, sein „Ich“ verpflanzt? Zwanzig Jahre später hat die öffentliche Meinung damit keine Probleme mehr. Das Herz ist ein Pumpmuskel (0,003 PS, Fördermenge 10.000 Liter am Tag), nicht mehr, nicht weniger. Den Sitz der Seele, wenn es sie denn gibt, hat man einstweilen in das bisher unangetastete Gehirn verschoben. Etwa 5.000 menschliche Herzen fanden in den vergangenen Jahren eine neue Heimstatt im Brustkorb eines Kranken. Ungefähr 60 Prozent von ihnen schlagen auch nach fünf Jahren noch an ihrem neuen Ort. Im vergangenen Jahr wurden allein in den großen Herzzentren der Bundesrepublik, Hannover, München, Hamburg und Berlin, etwa 600 Herzen verpflanzt. Das Herz ist ein Organ unter vielen geworden, bei denen eine Transplantation möglich ist. Dazu gehören weiter Lunge, Leber, Bauchspeicheldrüse, Nieren, Eierstöcke und Knochenmark. 1986 wurden in der Bundesrepublik 1.627 Nieren und 109 mal die Leber ausgetauscht, 210 mal Knochenmark übertragen, und einige tausend Male hat die Hornhaut eines Toten einem Erblindeten die Sehkraft wiedergegeben. Die Kosten für die Organtransplantationen liegen bei 110.000 Mark (Herz), 95.000 (Leber), 20.000 bis 40.000 (Niere), ohne Krankenhausaufenthalt. Viele Mediziner haben sich auf den Organaustausch bei Kindern und Säuglingen spezialisiert. Hier liegt zum einen die Überlebensrate deutlich höher als bei Erwachsenen, zum anderen, so betonen die Spezialisten, ist die Bereitschaft von Eltern sehr hoch, ein Organ ihres gestorbenen Kindes für ein anderes, krankes Kind zu spenden. Das nutzen die Medizi ner offenbar zur Erprobung von gewagten Transplantationstechniken. So führte Magdi Yacoub, Chirurg am Londoner Brompton– Krankenhaus, an Kindern und Säuglingen eine doppelte Organ– Transplantation durch, wobei gleichzeitig Herz und Lunge ausgetaucht wurden. Einer der Patienten, ein anderthalb Monate alter Säugling, starb einige Tage nach der Geburt, Yacoub konnte derweil mit 126 Transplantationen einen neuen „Weltrekord“ aufstellen, wie es hieß. Der nächste Schritt auf seiner Karriere–Leiter ist schon anvisiert: Derzeit arbeitet er an der sogenannten Reihen–Transplantation, bei der einem lungenkranken Patienten Herz und Lunge eines Spenders eingesetzt werden und das freiwerdende gesunde Herz gleich weiterverpflanzt wird. Als diese Operationstechnik Anfang des Jahres das erste Mal gelang, gab es einen peinlichen Streit zwischen der Londoner Klinik und einem kanadischen Krankenhaus, wer der wahrhaft Erste war. Seit ein neues Medikament entwickelt wurde, das die gefürchtete Immunabwehr gegen das fremde Organ erheblich reduzieren kann, besteht das Hauptproblem der Transplantationsmedizin nicht mehr in der Nachsorge, sondern in der Organ–Beschaffung. Vielen Menschen widerstrebt noch immer die Vorstellung, etwa nach einem Verkehrsunfall regelrecht „ausgeschlachtet“ zu werden. Nach Auffassung des Sozialmediziners Herbert Viefhues aus Dortmund sollten Klinikärzte im Gespräch mit Hinterbliebenen versuchen, eine Zustimmung zur Organentnahme zu erreichen. Vier europaweit arbeitende Datenbanken versuchen, den Engpaß an Spender–Organen durch optimalen Einsatz soweit möglich auszugleichen. In ihnen sind die Daten von über hunderttausend auf eine Transplantation wartenden Kranken gespeichert. Steht ein Spenderorgan zur Verfügung, wird nach diesen Daten die Empfängerpriorität ermittelt - allerdings nicht nur nach medizinischen, sondern auch nach sozialen Gesichtspunkten. Wenn etwa nach Einschätzung der Ärzte kein „stabiles soziales Umfeld“ vorhanden ist, halten diese den Operationserfolg für ungesichert. Einem Asylsuchenden ist in Bayern mit dieser Begründung im vergangenen Jahr eine Herztransplantation verweigert worden. Der extreme Versorgungsengpaß bringt fragwürdige Geschäfte zum Blühen. Der Aachener Arzt Hajo Harms wollte über seine Firma „Internationale Transplantat–Vermittlung“ Nieren von lebenden Spendern aus der Dritten Welt einkaufen und an Fachkliniken in der BRD vermitteln - für 100.000 Mark pro Stück. Dem empörten Aufschrei der bundesdeutschen Ärzteschaft hielt der Geschäftsmann entgegen, mit dem Honorar für die eine gespendete Niere hätten die Spender unter Umständen eine sehr viel bessere Überlebenschance, als wenn sie - mit beiden Nieren - verhungerten. Andere Experten wechseln bei der Suche nach Organspendern ins Tierreich über. Schon 1967 hatte Barnard prophezeit, in zwanzig Jahren werde es „ganze Herden von Spendertieren geben“. Seine eigenen Experimente mit der sogenannten Xeno–(Fremd–)Transplantation scheiterten. Zwei Patienten, denen er 1977 Affenherzen einsetzte, starben kurz darauf. Vor drei Jahren setzte der US–Chirurg Leonard Bailey einem 14 Tage alten Säugling ein Schimpansen–Herz ein. „Ohne die Transplantation wäre die Kleine gestorben“, verteidigte er sich, gab später - das Mädchen hatte die Verpflanzung ebenfalls nicht lange überlebt - jedoch zu, daß ein passendes menschliches Spenderherz durchaus verfügbar gewesen wäre: „Wir haben nicht nach einem menschlichen Organ gesucht, wir wollten ja eine Xenotransplantation machen.“ Und sollte die Verwertung von Embryonen wegen der ethischen Bedenken auf zu viel Widerstand stoßen, so hätten die Gentechniker noch eine andere Variante parat: Von künstlich (“in vitro“) gezeugten Kindern läßt sich durch Zellteilung eine identische Kopie anfertigen. Dieser eineiige, nicht ausgetragene Zwilling kann eingefroren werden. Falls dem späteren Menschen ein Organ oder auch ein Körperteil ausfällt, kann der „Zwilling“ aufgetaut und bis zur Entwicklung des benötigten Organs herangezüchtet werden. Der Mensch der Zukunft - Ersatzteillager inbegriffen.
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