Ersatzkunst-Ausstellung in Frankfurt: Wüsten und Würste
Eine Ausstellung in Frankfurt am Main zeigt die Ende der 1970er Jahre entstandene „Ersatzkunst“. Sie bewegt sich zwischen Anarcho-Humor und Dada.
Die Frankfurter Würstchen haben gut lachen. Im Jahr 1985 schlitzte Nicole Guiraud zwei Exemplaren der lokalen Delikatesse ein Grinsen in den Saitling, das bis heute anhält. „Ffm Wurstköpp“ hat die in Algerien geborene, später mit ihrer Familie nach Frankreich und nochmals später nach Frankfurt am Main gezogene Künstlerin ihre Arbeit genannt.
Die Banderole ist vom Zahn der Zeit längst angenagt, doch die künstlerisch umgestalteten Würstchen mit ihren Augen und Mundwinkeln aus herauslugender Fleischmasse sind bemerkenswert in Form geblieben. Kein Formaldehyd, wie die Kuratorin selbst verwundert bestätigt, sondern reines Wurstwasser: „Hält offenbar ewig.“
Ein Glück, denn so kann man Guirauds kleine, charmant-rabiat verewigte Schelmengeste jetzt in einem Format wiederfinden, das der Künstlerin damals vermutlich niemals vorgeschwebt hätte – einer Retrospektive nämlich, die ja immer auch etwas von nachträglich heiligem Ernst mit sich bringt.
„ERSATZKUNST. Die Wüsten-Jahre 1975–1985“ heißt die Schau in der Ausstellungshalle 1 a, mit der Kuratorin Isa Bickmann und der Frankfurter Künstler Vollrad Kutscher jene Jahre und ihre künstlerischen Umtriebe in der immer etwas klein geratenen Großstadt Revue passieren lassen.
Aus Kellern wieder aufgetaucht
Kutscher ist die Konstante, die sich von den Anfängen der selbst erklärten Ersatzkunst (analog zum Ersatzkaffee) bis ins Heute zieht. Etliche Kunstwerke auch von Kolleginnen und Kollegen konnte er in weiser Voraussicht sorgsam aufbewahren, anderes wurde für die Ausstellung aus Kellern und Beständen wieder hergeschafft. Und man ahnt schon, dass dort, wo in großen Lettern ERSATZ draufsteht, am Ende vielleicht umso lieber die Kunst selbst sich verbirgt.
„ERSATZKUNST. Die Wüsten-Jahre 1975–1985“. Ausstellungshalle 1 a, Frankfurt am Main, bis 26. 9., Katalog 20 Euro
So gibt es hier weitere Mikrodioramen von Nicole Giraud zu entdecken, mit allerlei nackten Menschen, Gartenzwergen oder einer menstruierenden Mini-Maus darin; Drucke und Assemblagen, Videos, Dokumentationsmaterial von Musik, Performances, Reden, Manifesten.
Außerdem Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern, für die die Bildende Kunst oft genug nur eine Zwischenstation darstellte – Heinrich Pachl zum Beispiel ist heute als Kabarettist bekannt, Oskar Schmitz sollte nur wenig später nicht mehr künstlerisch tätig sein.
Formal wie inhaltlich stechen die Arbeiten von Annick Laforgue heraus. Die französische Künstlerin, die wie ihre Freundin Guiraud zum Kunststudium nach Frankfurt gezogen war, fertigte zwei- und dreidimensionale Deutschlandbilder aus der Außenperspektive: Ihre „Frau mit Hund“ führt den Vierbeiner vor einem grauen Wohnklotz mit grantelnden Männern und Totenschädeln im Fenster spazieren.
Von Holz bis Kaugummi
In den „Ersatzkunst“-Ausstellungen jener Tage traf ein Anarcho-Humor auf die Auseinandersetzung mit dem politisch radikalen Deutschen Herbst und die künstlerische Urbarmachung simpler Alltagsmaterialien von Holz bis Kaugummi auf überbordende Dada-Mentalität.
Insbesondere die zugehörigen Texte zeugen von der Suche nach künstlerischer und menschlicher Selbstverortung in einer als ebenso bieder empfundenen wie plötzlich unerhört wohlständigen Nachkriegsbundesrepublik, in der die junge Vergangenheit fröhliche Verdrängung feierte.
Es war ein loser Verbund von Kunstschaffenden, der sich 1975 in der Werkstatt von Stephan Keller zusammenfand, um seine Arbeiten zu präsentieren – allem Geheimzirkelflair zum Trotz übrigens durchaus mit einigem Publikumsinteresse.
Als Initialzündung gilt ausgerechnet eine im Büroflur des damaligen Kulturamts geplante Ausstellung, die von der städtischen Behörde mit der herrlichen Begründung abgesagt wurde, die ausgewählten Werke seien nicht weihnachtlich genug für den anberaumten Termin. Als die Kommunale Galerie 1978 wieder eine Einladung aussprach, präsentierte Vollrad Kutscher sein mumifiziertes und damit de facto für immer konserviertes wie unkenntlich gemachtes Frühwerk, das er an die Flurwände der Behörde lehnte.
Frankfurt als unwirtliches Pflaster für die Kunst
Dass die Banken- und Börsenstadt trotz beachtlichen Kulturetats seinerzeit ein eher unwirtliches Pflaster für die Kunst gewesen sein muss, davon zeugen neben dem Ausstellungstitel zahlreiche Anekdoten im zugehörigen Katalog. Aber die Beschränkungen und Brachflächen hatten, wie das oft so ist, auch ihr Gutes.
So wurden Werkzeugkeller oder wie hier auch mal der Büroflur eines städtischen Amts zu „Off-Spaces“, Orten jenseits hochkarätig besetzter Museumsräume und kommerziell ausgerichteter Galerien, bevor der Begriff später in jedem Städteführer auftauchen sollte.
Auch Stephan Kellers Kunstzugriff hatte dann wieder mit dem Standort Frankfurt zu tun: Als Chefsteward bei der Lufthansa flog er von hier aus direkt in die Metropolen der Welt. Insbesondere das New Yorker Kunstgeschehen beeinflusste seine Arbeit. Das „Tapetenhaus“ gehört zu den wohl spektakulärsten Arbeiten der Schau – eine begehbare Installation aus und mit der obligatorischen Mohnblumentapete, wie sie in den 1970er Jahren in etlichen bundesdeutschen Wohnungen hing.
Keller machte einen wörtlich begehbaren Bildraum draus; an den Blumenwänden und davor Drucke, Ölmalereien und ein Bildschirm mit wiederum jenem Floraldekor. Eine schaurig-schöne Hommage oder wahlweise auch Verhohnepipelung von Warhols dereinst omnipräsenten Blumensiebdrucken und seinem Prinzip der Serie, ein kesser Gruß aus Mainhattan an den Big Apple.
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