: Ernüchterung unter Glastonnen
■ Nachdem der spektakuläre Calatrava-Entwurf gekippt wurde, liegt nun ein neues Konzept für den ICE-Fernbahnhof Spandau vor / Hamburger Architekten-Team überbaut die sieben Gleise
Die Planungen für den Fernbahnhof Spandau haben ein baulich recht unspektakuläres Niveau erreicht. Anstelle der beiden Brückenbauten und luftigen Bahnsteighallen von Santiago Calatrava (Zürich) sollen bis 1997 zwei netzstrumpfartig gewebte Stahl-/Glasdächer des Hamburger Architekturbüros von Gerkan, Marg & Partner die ICE-Schienenstränge überspannen.
Ebenfalls verschwunden aus dem Spandauer Bahnhofskonzept sind Anbauten für große Dienstleistungs- und Büroflächen. Nach der Pleite mit dem kostenaufwendigen Entwurf des Spaniers und dem „No“ möglicher Investoren ist bei den Reichsbahnern (Motto 2000: „Erlebniswelt mit Gleisanschluß“) Ernüchterung eingetreten. Statt des Bildes vom Schienenverkehr als schnelle Ader über turbulenten Einkaufs- und Bürozeilen ist das eigentliche Verkehrsbauwerk wieder relevant geworden.
Doch was vorher zu groß war, wird vielleicht jetzt zu klein. Die Zeitung und Reiseproviant, Zigaretten und Gummibärchen muß man sich bei dem neuen Entwurf in einer ins Erdgeschoß gepreßten Bahnhofshalle (18 mal 63 Meter) kaufen. Die Zonen unter den Gleisanlagen sind von einer gewellten Deckenform geprägt, die an den niedrigsten Stellen nur einer Höhe von knapp drei Metern Raum bietet. Das kleine Reisezentrum nebst Räumen für die Dienstmänner soll von der Klosterstraße sowie der Seegefelder Straße erschlossen werden.
Die Leere auf den Plätzen südlich und nördlich des Bahnhofs haftet dem Entwurf auch in dem Konzept bei von Gerkan, Marg & Partner an. Für die Areale wurde noch kein städtebaulicher Rahmen gefunden. „Es wird bei einer Realisierung des Bauvorhabens notwendig werden, beide Bahnhofsvorplätze in die Planung mit einzubeziehen“, betonte die zuständige Projektleiterin des Hamburger Büros, Zittlau-Groß, gegenüber der taz. Die Bereiche sollten von einer „breiten Passage“, die durch den Bahnhof verläuft, verbunden werden. Hauptsächlich der nördliche Platz – gegenüber dem Rathaus – müsse gestaltet werden. Der südliche Bereich könnte als Standort für Bürobauten freigehalten werden. Problem für die Spandauer Innenstadt: Die trennende Wirkung des Verkehrsbauwerkes, das die Altstadt von dem Quartier Klosterfelde abriegelt, bleibt bestehen. Die mögliche Passage bietet keine ausreichende Lösung an.
Das rund 100 Millionen Mark teure Bahnhofsbauwerk soll in Hochlage insgesamt sieben Gleise (zwei für S-Bahnen, vier für Eisenbahnen, eines für den Güterverkehr) aufnehmen. Die ICE-Gleise werden von zwei 400 Meter langen Glastonnen, die S-Bahnen von einem 200 Meter langen Dach aus einer Gitterstruktur überdeckt. Zittlau-Groß: „Die Länge der Hallen steht aus Kostengründen noch zur Disposition.“ Allerdings dürften dem geplanten Bauwerk wegen der dünnen Finanzdecke bei der Reichsbahn nicht „typische“ Formen und Funktionen genommen werden.
Ende dieser Woche werden die Planungen erneut zwischen Bezirk, der Reichsbahn und den Architekten diskutiert werden. Mitte August will der Vorstand der Bahn endgültig darüber entscheiden, welche Variante realisiert werden wird. 1997 soll der ICE in den Bahnhof rauschen... Rolf Lautenschläger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen