Ermittlungen gegen Daimler-Chef: Zetsche will von nichts wissen
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt gegen den Daimler-Vorstandschef Dieter Zetsche. Der Vorwurf: Falschaussage vor Gericht.
HAMBURG taz Dieter Zetsche muss um seinen Job bangen. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Vorstandschef der Daimler AG, der zu den mächtigsten Managern Deutschlands gehört. Der Verdacht: Falschaussage in fünf Fällen. Die jahrelange Verkaufskanone des Konzerns soll von Graumarktgeschäften in großem Stil gewusst und diese vor Gericht trotzdem mehrfach geleugnet haben.
Ausgelöst hat die Ermittlungen der Bestseller-Autor Jürgen Grässlin. Grässlin hatte Zetsche schon 2006 wegen des Verdachts auf Falschaussage angezeigt und dem Stuttgarter Staatsanwalt Eckhard Maak später interne Unterlagen aus dem Daimler-Konzern zugespielt.
Laut Grässlin geht daraus hervor, dass bei der damaligen Daimler-Benz AG von 1995 bis 1999, als Zetsche dort Vertriebsvorstand war, tausende Limousinen am eigenen offiziellen Händlernetz vorbei ins Ausland verscherbelt wurden. Der taz liegt ein Auszug aus den Unterlagen vor. Grässlin schätzt, dass zeitweise mehr als ein Fünftel aller Mercedes-Verkäufe solche sogenannten Graumarktgeschäfte waren. Hinter den Kulissen ermittelt die Stuttgarter Staatsanwaltschaft schon seit Monaten. Aber erst am Wochenende hatte sie die Nachforschungen auch offiziell bestätigt, nachdem sie aufgrund einer Indiskretion bekannt geworden waren.
Zetsche will von den Vorwürfen offiziell nichts wissen. "Wir kennen sie nur aus den Medien", sagt seine Sprecherin. Zetsche soll am 9. Dezember 2002 als Zeuge vor dem Stuttgarter Landgericht ausgesagt haben, dass die Belieferung von Graumarkthändlern nicht der Konzernpolitik entspräche. Seit seinem Amtsantritt als Vertriebsvorstand habe er Anstrengungen unternommen, entsprechende Vorgänge zu unterbinden. Vor Gericht soll Zetsche die Graumarktgeschäfte "Einzelfälle" genannt haben.
Für Grässlin-Rechtsbeistand Holger Rothbauer trifft das aber "auf keinen Fall" zu. Allein über Händler in Mannheim seien laut interner "Fahrex-Listen" mindestens 3.000 Fahrzeuge in graue Märkte exportiert worden. Das soll die Staatsanwaltschaft Stuttgart laut Rothbauer selbst ermittelt haben. In Westdeutschland stehen 15 von 20 Niederlassungen angeblich auf der grauen Fahrex-Liste. Als weiteren Beleg gegen die Einzelfalltheorie nennt Anwalt Rothbauer einen Brief, in dem der Inlandsvertriebschef Vorstand Zetsche informiert.
Für Daimler-Kritiker Grässlin ist klar, dass der gegen EU-Recht verstoßende Vertriebsweg "systematisch" genutzt wurde - und dass der heutige Daimler-Vorstandschef Bescheid wusste.
Die Staatsanwaltschaft bestätigt, dass sie wegen einer uneidlichen Aussage sowie in vier Fällen wegen "Versicherung auf Eides statt" gegen Zetsche ermittelt. Solche Erklärungen werden gerne zur Durchsetzung einstweiliger Verfügungen eingesetzt.
Ein angelehnter Fall, bei dem Zetsche Grässlin wegen seiner Vorwürfe verklagt, wird am Freitag im Hamburger Landgericht verhandelt. Diverse juristische Streitereien mit Daimler haben den Sprecher der "Kritischen AktionärInnen Daimler" bislang etwa 40.000 Euro gekostet. Mit den konzerninternen Dokumenten sieht er beste Chancen, sein Geld zurückzuerhalten. Mit Blick auf die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen "möchte ich nicht in der Haut von Herrn Zetsche stecken", sagt Grässlin.
Eine Sprecherin der Stuttgarter Staatsanwaltschaft sagte der taz, sie rechne erst ab Januar mit einem Ergebnis der Ermittlungen gegen Zetsche. Diesem drohe im schlimmsten Fall eine Geldstrafe oder ein Freiheitsentzug von bis zu fünf Jahren.
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