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Erinnnerung an Annemirl BauerMalen gegen die Strukturen

Ein Platz in Friedrichshain wurde nach Annemirl Bauer benannt. Nun sind die Bilder der Ostberliner Dissidentin und Künstlerin in einer Ausstellung zu sehen.

Mit einem Flyer im Briefkasten hatte alles begonnen. An einem Sonntagmorgen vor zwei Jahren las Amrei Bauer in dem Prospekt, dass der bislang namenlose Platz vor ihrer Haustür bald nach dem Künstler Franz von Lenbach heißen sollte. "Oder haben Sie eine bessere Idee?" stand kleinlaut unter der Ankündigung. Die hatte Amrei Bauer tatsächlich. "Eine Person der jüngsten Zeitgeschichte sollte geehrt werden", erzählt sie. "Warum also nicht meine Mutter?", dachte sich Amrei Bauer.

Annemirl Bauer war Malerin in der DDR - aber nicht nur. Zeitlebens hat sie sich für Meinungsfreiheit und Frauenrechte eingesetzt. Ihre Tochter sammelte Unterschriften zugunsten ihrer Mutter, rund 400 kamen zusammen. Seit dem 18. September ist es offiziell: Der ehemals anonyme Platz am Ostkreuz heißt nun "Annemirl-Bauer-Platz". Doch nur wenige Bewohner des Viertels wissen um die Geschichte der Künstlerin. Eine Ausstellung unweit des Platzes soll dies ändern.

Annemirl Bauer wurde 1939 in Jena geboren, mit Anfang 20 zog sie nach Berlin und studierte an der Hochschule für Bildende und Angewandte Kunst in Weißensee. Rund 16.000 Bilder hat sie in ihrem Leben gemalt. In einem schmalen Ausstellungsraum sind nun 30 ihrer Werke ausgestellt. Ihre Kunst ist ein Materialmix: Porträts, gemalt auf ihren zahlreichen Eingaben an die DDR-Regierung, auf Tapeten und Briefumschlägen. "Sie hat gegen die Strukturen angemalt", meint ihre Tochter Amrei, "sinnbildlich gesprochen." Kinder vom Prenzlauer Berg schauen von den Gemälden herunter, aber auch Frauengesichter aus dunklem Öl. Ersteren sah Bauer beim Spielen zu, wenn sie aus dem Fenster ihrer Werkstatt blickte. Letztere waren ihr ein persönliches Anliegen.

Auf Fotos wirkt Annemirl Bauer schüchtern: dünn und blass, das Lächeln nur angedeutet. Eine Dissidentin stellt man sich anders vor. Doch Bauer war eine Kämpferin. "Wenn es um den Kampf um Meinungsfreiheit ging und die Rechte der Frauen", sagte Bärbel Bohley einmal, "hat keine ihre Stimme so erhoben wie sie." Offen kritisierte Bauer das Wehrdienstgesetz, dem zufolge im Verteidigungsfall auch Frauen eingezogen werden sollten. 1984 forderte sie in einer öffentlichen Eingabe die Reisefreiheit aller DDR-Bürger. Als sie einen Widerruf verweigerte, schloss man sie aus dem Künstlerverband aus. Von ihrem Umfeld isoliert, von der Staatssicherheit drangsaliert: Ihr Atelier im Prenzlauer Berg wurde zwangsgeräumt, immer wieder bekam sie Besuch von Beamten.

Nach der Wende forderte Amrei Bauer die Akte ihrer Mutter an. Dort konnte sie nachlesen, wie man ihren Willen brechen wollte: Kündigungen, Verhöre, Steuernachzahlungen - alles als "Zersetzungsmaßnahme" gedacht. "Irgendwann ist ihr dann die Kraft ausgegangen", erzählt die Tochter. Annemirl Bauer starb 1989 an einem Krebsleiden.

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