Erinnerungskultur in Bayern: München soll nicht stolpern
Stolperstein-Befürworter klagten auf das Recht einer Sondernutzungserlaubnis. Das Münchner Verwaltungsgericht weist das ab.
Eine solche Erlaubnis ist nötig, wenn öffentlicher Grund für eigene Zwecke benutzt wird, beispielsweise um Zeitungskästen aufzustellen oder einen Info-Tisch, und dabei „Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs“ behindert werden. Hinter dem Versuch der Kläger, dieses Sondernutzungsrecht auch für Stolpersteine zu erhalten, stand die Idee, den Münchner Stadtrat zu einer erneuten Diskussion zu zwingen und damit vielleicht einen Ausgang zugunsten der Stolperstein-Freunde zu erwirken.
An die 60 000 Messing-Quadrate, darin eingraviert die Namen von Opfern des NS-Terrors, blinken nicht nur deutschlandweit, sondern in ganz Europa auf Gehsteigen oder öffentlichen Plätzen, in Städten und Gemeinden. Sie veranlassen, so die Idee, die PassantInnen zum Innehalten, Lesen, Erinnern. Die Metalltafeln sollen kein echtes Stolpern verursachen – die Tafeln sind fast bündig in den Boden eingelassen – sondern zu einem Stolpern im Kopf.
In München hält man davon allerdings wenig. Der Stadtrat hatte schon 2004 und dann noch einmal 2015 gegen diese Form des Gedenkens gestimmt. Dabei stützte er sich vor allem auf die Bedenken von Charlotte Knobloch, der Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde, die die Stolpersteine für ein „unwürdiges Gedenken im Straßenschmutz“ hält, bei dem die Namen der Opfer mit Füßen getreten würden.
Darüber ärgern sich die Mitglieder der Vorsitzende der Initiative Stolpersteine für München. Ihr Vorsitzender Terry Swartzberg: „Frau Knobloch maßt sich an, für alle Nachkommen von Opfern zu sprechen.“ Es werde aber auch anderen Opfern der Nazis gedacht, wie Homosexuellen, Widerständlern oder Roma und Sinti. Zudem empfänden auch viele jüdische Bürger die Stolpersteine als eine würdige Erinnerungsform. „Jeder, der die Namen liest, neigt automatisch seinen Kopf, und je mehr Füße über die Steine laufen, desto stärker blinken sie“, so auch Christof Eberstadt, 63, einer der drei Kläger.
Indem das Verwaltungsgericht aber zur Auffassung kam, die Gedenksteine bedürften gar keines Sondernutzungsrechts, wies es die Klage ab. „Damit hat sich das Gericht um das Entscheidende gedrückt“, befindet Klägeranwalt Hannes Hartung. „Nach dem jetzigen Urteil ist die Sache nur privatrechtlich via einen Vertrag zu regeln.“ Dazu könnten die Stolpersteinbefürworter die Stadt aber nicht zwingen. Das letzte Wort ist für ihn daher noch nicht gesprochen. „Wir ziehen vor den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen