Erinnerungen an einen Buchclub: Freunde des jüdischen Buchs

In der Soncino-Gesellschaft organisierten sich in der Weimarer Republik bibliophile deutsche Juden. Der Verein wurde von den Nazis liquidiert.

Erst „arisiert“, jetzt archiviert: geraubte Bücher von verfolgten Juden aus der NS-Zeit in der Stadtbibliothek in Nürnberg. Bild: dpa

Eigentlich war Gotthard Laske Herrenkonfektionär. Mit diesem Beruf repräsentierte der 1882 im westpreußischen Stargard geborene Berliner eine große jüdische Tradition des Handels mit Stoffen. Doch zeitgenössische Darstellungen verweisen darauf, dass Laske seine Haupttätigkeit nur deshalb betrieb, um seiner wahren Leidenschaft zu frönen: dem Sammeln von Büchern und Kunst. 10.000 Bände umfasste seine bibliophile Sammlung, darunter viele wertvolle Drucke. Manche Künstler konnten damit rechnen, als Gegenleistung für ihre Zeichnungen einen maßgeschneiderten Anzug zu erhalten.

Aber Laske war nicht nur ein begeisterter Sammler, er zählte auch zu den prominenten Mitgliedern eines längst vergessenen Bibliophilen-Vereins. Der „Soncino – Gesellschaft der Freunde des jüdischen Buches“ ist ein Sammelband gewidmet, der der Geschichte dieser ganz besonderen Institution nachgeht. Denn diese Gesellschaft, gegründet am 24. Mai 1924 in Berlin, war, wie das Jüdische Jahrbuch für Groß Berlin zwei Jahre später schrieb, die „erste und einzige jüdische bibliophile Gesellschaft der Welt“.

Schriftliche Überlieferungen spielen in der „Religion des Buchs“ schon immer eine ganz besondere Rolle, auch deshalb, weil deren Traditionen angesichts der Zerstreuung der Juden über die Welt durch Bücher wachgehalten und weitergegeben wurden. Die vollständige Gleichberechtigung der deutschen Juden nach Gründung der Weimarer Republik schuf die äußeren Voraussetzungen dafür, dass sich Juden nun verstärkt in eigenen Vereinen und Gruppierungen organisieren konnten.

Die Herausgeberinnen Karin Bürger, Ines Sonder und Ursula Wallmeier zeichnen in ihrem Beitrag „Eine zärtliche und heftige Beziehung des Juden zum gedruckten Wort“ die nur allzu kurze Geschichte der Soncino-Gesellschaft nach. Ihre Gründungsmitglieder waren Juristen, Verleger und Bibliothekare. Ihr Ziel sahen sie darin, „durch Herstellung vorbildlicher Drucke von Werken jüdischen Geistes darauf hinzuwirken, daß die Form des jüdischen Buches seinem inneren Gehalt entspricht – auch in seiner äußeren Gestaltung soll das jüdische Buch das Niveau des geistigen Schaffens im Judentum repräsentieren“, wie es in einer Werbeschrift hieß.

Hinwendung zu den Traditionen

Diese Grundsätze verweisen auf eine Rückbesinnung vieler deutscher Juden in den 1920er Jahren auf ihre Herkunft. Das mag angesichts der erreichten Gleichberechtigung paradox anmuten, tatsächlich war dies aber auch eine Reaktion auf den wachsenden Antisemitismus im Reich. Zugleich entwickelte der Kulturzionismus die Vorstellung, dass das Ziel des Judentums eben nicht in der vollständigen Assimilierung in der jeweiligen Nation liegen könne, in der man lebe, sondern dass eine bewusste Hinwendung zu den Traditionen für das Fortleben und die sittliche Weiterentwicklung der jüdischen Existenz notwendig sei.

Auch die Soncino-Gesellschaft verband sich mit diesen Vorstellungen, wenn sie ihre Werbebriefe mit dem „Zionsgruß“ unterzeichnete. Nicht zufällig zählte der Schriftsteller Arnold Zweig, der damals den Zionismus propagierte, zu den Förderern der Freunde des jüdischen Buchs.

Karin Bürger, Ines Sonder, Ursula Wallmeier (Hg.): „Soncino – Gesellschaft der Freunde des jüdischen Buches“. Verlag Walter de Gruyter, Berlin 2014, 248 S., 99,95 Euro

Zugleich zählten die Soncino-Mitglieder zu den geachteten deutschen Bürgern, die in den 1920er Jahren wohl nur in seltensten Fällen über eine Auswanderung nach Palästina nachdachten. Die jährlichen Hauptversammlungen vermitteln ein Bild bürgerlichen Wohlstands, an das Frank Schöffel erinnert. Man traf sich in den ersten Häusern der Stadt, etwa im Hotel Kaiserhof am Wilhelmplatz, zu einem „Begrüßungsabend“, und die Treffen endeten mit einem „Gesellschaftsabend“ in den Räumen der Jüdischen Gemeinde mit Festessen und der Übergabe von Sonderpublikationen, bei dem um entsprechende Abendgarderobe gebeten wurde.

Erinnerungen an eine untergegangene Welt

Die Soncino-Gesellschaft publizierte insgesamt mehr als zwei Dutzend Publikationen, mit denen sie die Traditionen jüdischen Buchdrucks wachhalten wollte – wie schon der Name bewies, der auf eine jüdische Druckerfamilie im 15. und 16. Jahrhundert in der gleichnamigen italienischen Stadt verwies. Diese Schriften waren hochwertige Drucke, bisweilen mit wunderbaren Holzschnitten ausgestattet. Jüdische Traditionen waren dominant, wie etwa Zweigs „Die Umkehr der Abtrünnigen“ oder das Verzeichnis der Büchersammlung des jüdischen Aufklärers Moses Mendelssohn. Eine vollständige Bibliogragie findet sich im Anhang des Buchs.

Vor allem aber ist dort eine in akribischer Kleinarbeit erarbeitete Liste der mehr als 800 Personen umfassenden Soncino-Mitglieder verzeichnet, mit deren Hilfe sich ein Bild von der gesellschaftlichen Elite der bibliophilen deutschen Juden herstellen lässt. Es ist eine untergegangene Welt voller Rechtsanwälte und Amtsgerichtsräte, Rabbiner und Generaldirektoren.

Der Berliner Herrenkonfektionär Gotthard Laske trug die Mitgliedsnummer 109. Er nahm sich 1936 das Leben. Seine Frau Nelly wurde 1943 in Auschwitz ermordet. Manche Soncino-Mitglieder konnten sich nach Palästina retten. Die bibliophile Gesellschaft aber wurde um 1937 unter ungeklärten Umständen liquidiert.

Bibliophilie im Hinterzimmer

Verena Lenzen erinnert in dem besprochenen Band an Gotthard Laske. Sein 1915 geborener Sohn Ernst, der in Dänemark und Schweden die NS-Verfolgung überlebt hatte, erreichte 1948 Israel. Im Gepäck hatte er eine Holzkiste mit einigen wenigen Büchern aus der Sammlung des Vaters – der übergroße Anteil war nach dessen Tod in Berlin „arisiert“ worden und unter den Hammer gekommen. In den 1970er Jahren begann Ernst Laske seine Arbeit im Tel Aviver Antiquariat Landsberger. Wer als Deutscher damals Israel besuchte und Bücher liebte, der kam zu ihm in das Hinterzimmer in der Jehudastraße.

Ernst Laske ist im Jahr 2004 verstorben. Seine Privatsammlung wurde verauktioniert. Die Buchhandlung Landsberger existiert nicht mehr. Im Antiquariatshandel finden sich hin und wieder Bücher der Soncino-Gesellschaft. Der Rest ist Geschichte, an den den dieses verdienst- und wertvolle Buch die Erinnerung wachhält und zu weiteren Forschungen einlädt.

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