Erinnerung an der East Side Gallery: "Die Mauer muss bleiben"
Eine Initiative und Techno-DJs demonstrieren an der East Side Gallery gegen deren weitere Demontage. Wer will, kann dort sogar auf die Mauer klettern.
Punkt 14 Uhr gegenüber der East Side Gallery in Friedrichshain: Technobeats beschallen den Ort, der auch 25 Jahre nach dem Mauerfall noch ein großes Stück der Vergangenheit in sich trägt. Sie kommen von einem DJ-Pult, an dem sich an diesem Sonntag Urgesteine der Berliner Clubszene wie Dr. Motte oder Mary Jane eingefunden haben. Sie wollen die besondere Stimmung, die gerade an diesem 25. Jahrenstag des Mauerfalls an diesem Ort herrscht, musikalisch einfangen. Nach und nach werden die Bässe lauter und ziehen die Aufmerksamkeit vorbeilaufender Menschen auf sich.
Neben dem DJ-Pult weht ein Banner im Wind. Auf ihm ist in in dicken roten Buchstaben zu lesen: „Kein Abriss der East Side Gallery für Hotels und Wohnungen. Die Mauer muss bleiben!“ „Wir sind heute hier, um die Menschen darauf aufmerksam zu machen, dass die Mauer in Gefahr ist", erzählt Sascha Disselkamp von der Berliner Clubcommission. "Gleichzeitig möchten wir eine alternative Veranstaltung zu all den anderen Mauerfeierlichkeiten bieten.“
Gemeinsam mit der Initiative „East Side Gallery retten“ ist die Clubcommission an die Mauer gekommen, um sich für den Erhalt der East Side Gallery einzusetzen. Nach Recherchen des Bündnisses „East Side Gallery retten“ erfordern der Brandschutz sowie das an den beiden dortigen Bauprojekten, dem Hotelneubau „Waterfront Living“ und dem Luxuswohnturm „Living Levels“, zu erwartende Verkehrsaufkommen einen weiteren Abriss der Mauer an drei Stellen. So sollen laut der Initiative der Durchbruch links und rechts des Luxuswohnturms verbreitert und ein neuer Durchbruch im vorderen Bereich des Hotelneubaus durchgeführt werden.
Die Baupläne stellten eine unmittelbare Existenzbedrohung für den Erhalt dieses Stücks Geschichte dar. „Wir sehen die East Side Gallery als das Denkmal des friedlichen Mauerfalls vor 25 Jahren, und in dieser Form muss es unbedingt erhalten bleiben. Darum sind wir heute hier, um weitere Unterstützer für den Erhalt der Mauer zu gewinnen“, verdeutlicht Disselkamp die gemeinsame Position der beteiligten Initiativen. Suse Hammer verteilt Info-Flyer der Initiativen. „Wir nutzen den heutigen Tag, um die Masse darauf aufmerksam zu machen, dass die Mauerkunst, die für den Erhalt der Vergangenheit so wichtig ist, wirklich in Gefahr ist. Die Ballons, die heute in die Luft steigen werden, sind ein guter Showeffekt, der aber morgen schon wieder in Vergessenheit geraten kann. Dann könnten schon die Bagger vorfahren.“
„Heute feiern, morgen abreißen“, steht auf dem Flyer, den sie den Besuchern in die Hand drückt. Dieser Slogan stehe sinnbildlich für das drohende Schicksal der East Side Gallery, so Hammer.
Auch Karin Kaper und Dirk Szuszies sind gekommen. Sie haben einen Dokumentarfilm über die East Side Gallery gedreht, der Anfang 2015 in die Kinos kommt und die Geschichte des Mauerrests nacherzählt. Dirk Szuszies will die Menschen wachrütteln: „Viele Leute feiern den heutigen Tag. Ich sehe das ganze mit einem skeptischen Blick. Wissen sie eigentlich, was sie feiern? In der Realität sieht es doch so aus, dass die Kunst verloren geht. Die Ballonaktion ist eine gute Imagewerbung für Berlin. Die Bilder gehen um die Welt. Das allein hilft aber der East Side Gallery nicht“, erzählt der Dokumentarfilmer. Er wolle die Menschen mit seinem Film wachrütteln, der auch die aktuellen Konflikte um den Fortbestand der East Side Gallery aufgreift. Diese sei ein Symbol der friedlichen Revolution, dass unbedingt erhalten werden muss, findet Szuszies.
Die Musik zeigt ihre Wirkung, viele Menschen werden aufmerksam. Sandra Garcia steht in der Nähe des DJ-Pults und wippt bei jedem Beat mit. Sie ist nicht umsonst an diesem Ort: „Ich finde diese Veranstaltung viel interessanter als die Feier am Brandenburger Tor. Ich möchte auch ein persönliches Statement setzen, in dem ich heute hier bin und den Erhalt der East Side Gallery unterstütze.“ Auf der gegenüberliegenden Seite, an der Mauer selbst, sind viele Touristen anzutreffen, die extra für diesen Tag angereist sind. Durch ein Baugerüst und Turnmatten kann die Mauer sogar erklommen werden. „Papa, mach' mal ein Foto“, ruft Simon seinem Vater von der Mauer aus zu. Uwe Staab drückt auf den Auslöser seiner Kamera.
Der Familienvater ist mit seinen beiden Söhnen Simon (12) und Paul (14) aus Falkenberg angereist, um ihnen heute die Bedeutsamkeit des Mauerfalls näher zu bringen. Auch er sieht die Pläne an der East Side Gallery kritisch: „Ich finde es schade, wenn weitere Mauerteile abgerissen werden sollten. Damit verschwindet ein Relikt aus der Zeit, ein Stück Geschichte würde verloren gehen.“ Simon klettert wieder runter und macht Platz für seinen Bruder Paul, der nun hoch auf die Mauer klettert. Auch er bekommt sein persönliches Erinnerungsfoto. „Ich kenne die Mauer nur aus Büchern und Filmen in der Schule. Deswegen finde ich es cool, dass ich da heute sogar mal draufklettern darf“, erzählt er stolz.
So wie die beiden nutzen an diesem Sonntag viele Menschen die Gelegenheit und klettern auf die Mauer, um das Gefühl, das damals herrschte, einmal nachzuempfinden und der Vergangenheit für einen Tag ganz nah zu sein.
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