Erinnerung an Zwangsarbeit: Gedenken an der Partymeile

Das Berliner RAW-Gelände ist bekannt für Partys und Konzerte. Jetzt erinnert man daran, dass hier einst Zwangsarbeiter geschunden wurden.

Illustration eines Skateparks

Das RAW-Gelände ist ein zentraler Ort Berliner Clubkultur – und beinahe vergessener Verbrechen Illustration: Jeong Hwa Min

BERLIN taz | Ein paar Skater mit auf den Rücken geschnallten Boards latschen in die Skatehalle auf dem RAW-Gelände im Berliner Stadtteil Friedrichshain. Sie müssen vorbei an einem Schaukasten, der hier seit Mitte Dezember steht und ziemlich unscheinbar wirkt, obwohl er über wahre Monstrositäten informiert. Hier, inmitten Berlins bekannter Ausgeh- und Partymeile mit all ihren Clubs und Kneipen, ging es einst gar nicht so spaßig zu wie heute.

In den teils unter Denkmalschutz stehenden Gebäuden, in denen man heute die Nächte durchfeiert, mussten während der Nazizeit Zwangsarbeiter schuften. Sie wurden gehalten wie Sklaven, erniedrigt, geschlagen und, wenn ihren Aufpassern danach war, einfach getötet. Zum Essen gab es dünne Suppe und Brot mit Sägespänen.

Nur ein Anfang

Darüber informiert dieser Schaukasten: dass es hier vor ungefähr 80 Jahren unfassbare Gräuel gab, was eigentlich niemanden überraschen muss angesichts der Geschichte des Geländes. Und was dennoch bislang wenig erforscht, geschweige denn publik gemacht wurde, bis sich nun Dominik Aurbach der Sache angenommen hat.

Die Besonderheit

Wo es heute hauptsächlich um Vergnügen und Halligalli geht, wirkt die Erinnerung daran, dass es an selber Stelle vor 80 Jahren mal ganz anders war, besonders eindrücklich. Wer von den Nazis als Zwangsarbeiter ausgebeutet wurde, hatte keinen Spaß. Das lässt ihn genau hier umso wertvoller erscheinen.

Das Zielpublikum

Alkoholleichen, Druffis nachts um halb drei, Touristen, Skater direkt nach der Schule, aber auch alle aus der Nachbarschaft, die mehr über die Geschichte ihres Kiezes wissen wollen. Und irgendwann vielleicht sogar einmal Nachkommen damaliger und hier versklavter Zwangsarbeiter.

Hürden auf dem Weg

Eventuell Alkoholleichen. Oder man hat selbst bereits zu viel getankt, um auch wirklich noch aufnehmen und begreifen zu können, was es in dem Schaukasten zu lesen gibt.

Der arbeitet bei Drop In, einem gemeinnützigen Verein, der sich in der Bildungsarbeit für Jugendliche engagiert und auch Programme in der Skatehalle organisiert. Über ein Jahr lang hat er sich mit dem Thema NS-Zwangsarbeit auf dem RAW-Gelände beschäftigt, wobei er finanziell vom Fonds Soziokultur unterstützt wurde. Seine Erkenntnisse lassen sich nun in dem Schaukasten nachlesen und in einer Broschüre, die seit Kurzem in den Ausgehläden auf dem Areal ausliegt.

„Reichsbahnausbesserungswerk“, so hieß der Betrieb einst, dessen Abkürzung RAW bis heute verwendet wird. „Reichsbahnausbesserungswerk“, wer dieses Wort einfach mal ausspricht, kann ja eigentlich gar nicht anders, als an Stechschritt und äußerst unangenehmen Kasernenhofton zu denken. Ab 1919 wurde der Ort so genannt, davor hieß die 1867 gegründete Einrichtung, in der die Deutsche Reichsbahn ihre Loks instand hielt, „Königlich-Preußische Eisenbahnwerkstatt Berlin II“. Was sich auch nicht viel besser anhört.

Bahn im Krieg

Die Deutsche Reichsbahn war in der Nazizeit elementarer Bestandteil von Adolf Hitlers Kriegs- und Vernichtungsmaschinerie. Sie transportierte Soldaten und Nachschub an die Front und Gefangene in die Vernichtungslager. Natürlich hatte sie auch keine Skrupel, selbst Zwangsarbeiter einzusetzen. Im Laufe des Zweiten Weltkrieges gab es immer mehr zu tun in solch einem Werk, das Eisenbahnwaggons instand halten soll. Und Zwangsarbeiter waren dafür bestimmt, bis zum Umfallen schuften zu müssen.

Deren Schicksal „fand jahrzehntelang keine Beachtung“ schreibt Aurbach in seiner Broschüre. Im persönlichen Gespräch direkt vor dem Schaukasten sagt er: „Es ist der großen Öffentlichkeit nicht bewusst, dass hier Zwangsarbeit stattfand.“ In der DDR wurde das Ausbesserungswerk weiterbetrieben und 1967 nach dem von den Nazis ermordeten bayrischen Kommunisten Franz Stenzer benannt. So sah die Aufarbeitung der Nazizeit in der DDR ja meistens aus: Neuer Name über den alten und damit wäre die Sache auch schon erledigt. Die Akten landeten dann nach der Wiedervereinigung im Archiv des Deutschen Technikmuseums in Berlin und da lagen sie dann erst einmal weitgehend unbeachtet.

Der Friedrichshainer SPD-Politiker Sven Heinemann habe dann vor vier Jahren in einem Buch das Thema Zwangsarbeit im ehemaligen Ausbesserungswerk angeschnitten, so Aurbach. Seine eigene Beschäftigung bezeichnet er nun als „erste wirklich umfangreiche Auseinandersetzung“ mit diesem – will sie gleichzeitig aber lediglich als einen „Aufschlag“ betrachtet wissen, auf den hoffentlich mehr folgen werde. Das Thema sei gesetzt, nun möge die Zivilgesellschaft einen passenden weiteren Umgang damit finden.

Zukunft ungewiss

Ob aus dem Schaukasten, der irgendwo im Eck neben einer Skatehalle keinen wirklich prominenten Platz gefunden hat, in naher Zukunft gar ein Denkmal werden soll, das mögen nun andere entscheiden. Eine Initiative beispielsweise, die diese Frage diskutiert, halte er für eine gute Idee. Mit dem Eigentümer des Geländes gebe es außerdem Gespräche, den Erinnerungsschaukasten eventuell an exponierterer Stelle auf dem Areal aufzustellen.

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Nach aktuellen Plänen soll der schon ziemlich bald damit beginnen dürfen, dieses sowieso gehörig umzugestalten. Viele der bereits baufälligen Gebäude, in denen derzeit Clubs untergebracht sind, würden dann abgerissen und durch schicke Bürokomplexe ersetzt werden. In diesem zukünftigen Ambiente soll das Erinnern an NS-Zwangsarbeiter bestimmt weniger schmucklos aussehen als derzeit.

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