Eric Bonse über das Aus für EU-weite Wahllisten: Uneuropäische Europawahl
Einen „neuen Aufbruch für Europa“ verspricht die Groko in Berlin. Doch in der EU ist davon nichts zu spüren, ganz im Gegenteil. Fast zur selben Stunde, in der der Koalitionsvertrag besiegelt wurde, stimmten CDU und CSU im Europaparlament in Straßburg gegen die Einführung europäischer Wahllisten – und damit gegen Sozialdemokraten und Grüne.
Der fortschrittliche, föderalistische Flügel im Europaparlament wollte erreichen, dass wenigstens ein kleiner Teil der EU-Abgeordneten künftig auf EU-weiten Listen gewählt wird. Das ist überfällig, denn bisher werden sie nur auf nationalen Listen nominiert. Die Auswahl erfolgt in den 29 EU-Ländern, das letzte Wort haben die Parteien.
Die Europawahl ist gar keine, selbst die 2014 eingeführten Spitzenkandidaten haben daran nichts geändert. Denn auch sie konnten nur in ihrem jeweiligen Heimatland gewählt werden, die Wähler hatten nur eine (nationale) Stimme. Ihnen auch eine zweite (europäische) Stimme zu geben, wäre ein demokratischer Fortschritt.
Doch das passt wohl nicht in das konservative Weltbild von CDU/CSU. Statt ein bisschen mehr Demokratie zu wagen, haben selbst „überzeugte Europäer“ wie Elmar Brok eine Kampagne gegen europaweite Listen geführt. Ihr Argument, dass der Bürger sich nicht für Kandidaten aus Kroatien oder Finnland interessiere, wirkt vorgeschoben.
Wenn der Kandidat auf der Europaliste Michel Barnier oder Yanis Varoufakis heißt (der Exfinanzminister will 2019 mit einer eigenen Liste antreten), dann kann niemand behaupten, er sei weniger interessant als Brok und Konsorten. Umgekehrt wird ein Schuh draus – prominente Spitzenkandidaten würden der langweiligen Europawahl endlich Pfeffer geben.
Stattdessen droht das Ende der Spitzenkandidaten. Eine Mehrheit der Staats- und Regierungschefs möchte die 2014 eingeführte Wahlnovelle kippen. Wenn es dumm läuft, wird die EU 2019 weniger statt mehr Demokratie wagen. Der „Aufbruch für Europa“ ist bedroht, bevor er angefangen hat.
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